Im Beitrag „Minimalistischer 30-Tage-Einstieg“ beschränkte sich das Tagebuchschreiben auf kurze sachliche Kalendernotizen. Für die meisten Menschen, die gerne ein zu ihnen passendes, individuelles Tagebuch führen wollen, ist dieser Ansatz vermutlich zu puristisch. Gehen wir deshalb einen Schritt weiter. Der folgende Artikel stellt insgesamt zehn Ansätze vor, die als Anregungen für die praktische Umsetzung der persönlichen Aufzeichnungen dienen sollen.
Insgesamt gibt es drei Beiträge zum Thema „Tagebuch“:
Was Tagebuch schreiben leistet
Tagebuch schreiben: Minimalistischer 30-Tage-Einstieg
10 Vorschläge für ein individuelles Tagebuch (dieser Beitrag)
Inhalt
Genau das Richtige finden:
Methoden für ein individuelles Tagebuch
Wie sieht das „perfekte“ Tagebuch aus? Ich würde sagen, dass ein perfektes Tagebuch immer ein individuelles Tagebuch ist, das auf die jeweiligen Bedürfnisse und Eigenarten des Verfassers vernünftig zugeschnitten ist. Wer sich dazu entschieden hat, Tagebuch zu führen, sollte sich zuerst klarmachen, was unter dem Strich überhaupt herauskommen soll:
- Geht es in erster Linie um die möglichst unverfälschten Erinnerungen aus vergangenen Zeiten?
- Will man zusätzlich auch das eigene Verhalten besser verstehen? In diesem Fall muss die Betrachtung natürlich über die Ereignisse der äußeren Welt hinaus nach innen auf die eigene Persönlichkeit, auf das Ich, gelenkt werden.
- In Anbetracht der Tatsache, dass ein großer Teil unserer täglichen Gedanken auch auf die Entwicklungen der Zukunft gerichtet sind, macht es durchaus Sinn, Raum für Pläne und Ideen im Tagebuch einzuräumen.
Bereits diese kurzen Überlegungen machen deutlich, dass es unterschiedliche Konzeptionen und Ansätze für das Medium Tagebuch geben kann. Je nachdem, um was für einen Menschen es sich handelt, sind die vorgestellten Konzepte mehr oder weniger gut geeignet. Um seinen individuell passenden Tagebuch-Stil zu finden, tut man gut daran, wenigstens mit ein paar der vorgestellten Methoden zu experimentieren.
Eher nüchtern:
Individuelles Tagebuch als Chronik
Wie bereits im Beitrag „Tagebuch schreiben: Minimalistischer 30-Tage-Einstieg“ gezeigt wurde, muss ein Tagebuch nicht unbedingt die exzessiv ausgebreitete Spielwiese des Autoren-Innenlebens sein. Auch die vergleichsweise schlicht anmutende Chronik des alltäglichen Erlebens ist ein durchaus gangbarer Weg.
Ich selbst bin immer wieder darüber erstaunt, wenn ich einen meiner alten Terminplaner in die Finger bekomme: Bereits die knappen, in Stichworten gehaltenen Notizen zu Terminen und einzelnen Ereignissen wecken Erinnerungen, die ich vollkommen aus den Augen verloren hatte. Insofern sollte eine simple Chronik nicht unterschätzt werden.
Ich – Ich – Ich!
Das Ich betritt die Tagebuch-Bühne
Nachdem es im Tagebuch als Chronik eher nüchtern-sachlich zugegangen ist, richten wir den Blick jetzt nach innen. Die meisten Tagebuchschreiber würden heute das Ich als den zentralen Hauptdarsteller ihrer Aufzeichnungen sehen.
Treten wir aber zuerst einmal einen Schritt zurück und stellen uns folgende Frage: Was macht für uns den besonderen Reiz des Tagebuchschreibens aus? Ist es nicht vor allem das intime Selbstgespräch? Der Dialog mit sich selbst, in dem man ungezwungen, im Sinne befreiender Selbstenthüllung schreibend, die „Hosen herunterlassen“ kann?
Keine Frage – Selbstenthüllung und Authentizität enthalten die Chance auf Selbsterkenntnis: Wer bin ich wirklich? Und daraus resultierend: Will ich auch wirklich so sein? Jeder, der mit dem Schreiben eines Tagebuchs beginnt, sollte sich bewusst machen, was das Schreiben für die eigene Persönlichkeit bringen soll. Ist man wirklich zu maximaler Selbstenthüllung und Authentizität bereit? Diese Überlegungen sollten am besten gleich zu Beginn im Tagebuch notiert werden.
Lust auf Chaos:
Das anarchische Tagebuch
Jetzt wird es wild. Wie wäre es mit einer Tagebuchvariante, in der wirklich alles erlaubt ist? „Alles“ bedeutet hier, dass wirklich jeder Gedanke, jede Idee – ja sogar Schmierzettel, schlechte Witze und Suffkritzeleien – in Ordnung sind?
Ein sicher etwas ungewöhnlich anmutender Ansatz, der aber auf jeden Fall einen Versuch wert ist 😉 Mein Vorschlag: Für einen Monat ein anarchisches Tagebuch führen und dann in aller Ruhe das entstandene Sammelsurium anschauen. Dann entscheiden, ob man diese Methode fortführen will.
Ziemlich natürlich:
Erzählen im Tagebuch
Das Erzählen von Geschichten ist eine der natürlichsten Formen menschlichen Ausdrucks und eignet sich auch für Texte im Tagebuch. Es muss nicht zwingend geplant sein, dass die Aufzeichnungen irgendwann anderen Personen zugänglich gemacht oder sogar veröffentlicht werden.
Man kann schließlich auch sich selbst etwas erzählen. Vor allem, wenn eine lange Zeit zwischen den Ereignissen und dem erneuten Lesen der Aufzeichnungen im Tagebuch liegt, hat diese Form einen besonderen atmosphärischen Reiz.
Um herauszubekommen, ob der erzählende Stil der Richtige ist, geht man folgendermaßen vor: Man nimmt sich ein paar Ereignisse exemplarisch vor (z. B. aus dem bereits erwähnten minimalistischen 30-Tage-Einstieg) und formuliert diese in eine erzählende Form aus.
Schrittweise kann man versuchen, immer mehr Details in diese Einträge einfließen zu lassen. Dabei ist es hilfreich, wenn man sich dabei einen imaginären Leser oder Zuhörer vorstellt.
Meine Projekte:
Das Arbeitsjournal
Diese besondere Form der Chronik erfreut sich vor allem bei Schriftstellern und Künstlern großer Beliebtheit: Im Rahmen eines künstlerischen Schaffensprozesses wird im Arbeitsjournal dokumentiert, was bisher erarbeitet wurde.
Fester Bestandteil dieser speziellen Tagebuchform sind aber auch alle Gedanken zu Hindernissen und Problemen, die mit dem Projekt irgendwie zusammenhängen. Und natürlich die dazu passenden Lösungsansätze bzw. relevante Materialien.
Vermutlich kann nur eine Minderheit der Tagebuchautoren von sich behaupten, Künstler oder Schriftsteller zu sein. Aber das ist auch nicht zwingend notwendig, um aus dem Arbeitsjournal Nutzen ziehen zu können. Jeder hat früher oder später ein (oder mehrere) „Projekt(e)“ auf dem Schirm. Einige Beispiele gefällig?
Vielleicht geht es um die Verbesserung der allgemeinen Fitness oder berufliche Veränderungen. Ebenso geeignet wäre der Kauf einer sanierungsbedürftigen Immobilie, die sich langfristig zu einem heimeligen Schmuckstück wandeln soll.
Alle Überlegungen, Fortschritte und Dokumentationen passen hervorragend in ein Arbeitsjournal, das dann durchaus den Charakter einer Collage annehmen kann.
Das will ich auch noch machen:
Bucket List im Tagebuch
Die Überschrift ist in diesem Fall bereits selbsterklärend. Ein Tagebuch eignet sich natürlich auch dazu, um all die Dinge zu notieren, die man irgendwann unbedingt erleben will. Generell macht es übrigens bei einem klassischen Tagebuch in Papierform Sinn, einen Index und Seitennummerierungen zu ergänzen.
Die persönliche Bucket List ist so immer wieder leicht aufzufinden und kann somit übersichtlich ergänzt werden.
Noch mehr Listen:
Selbstoptimierung und persönliches Glaubensbekenntnis
Es dürfte bekannt sein, dass der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist. Trotzdem zeugt es immerhin von gutem Willen, wenn man sich grundlegende Werte, Vorstellungen und Ziele auch schriftlich bewusst macht. Warum nicht einen Bereich im Tagebuch genau für solche Zwecke reservieren?
Von der grundlegenden Einstellung zu Religion und Partnerschaft, Genuss und/oder Askese – hier ist so ziemlich alles denkbar und natürlich auch erlaubt. Die Listenform bietet sich nicht nur für To-dos, sondern auch zur übersichtlichen Erfassung grundlegender Einstellungen oder Zielsetzungen an.
Ein interessanter Ansatz wäre auch eine Liste, die alle Eigenschaften enthält, die man für sich persönlich mittel oder langfristig erreichen will. Sozusagen die Vision eines (besseren) zukünftigen Selbst in Listenform.
Heureka!
Ideen sammeln im Tagebuch
Ideen, Geistesblitze und Lösungen – viel zu selten und wertvoll, um ihnen nicht schnellstens ein sicheres Plätzchen anzubieten. Ein Tagebuch ist so ein sicherer und privater Ort.
Um herauszufinden, ob diese Form für das eigene Tagebuch geeignet ist, sollte man immer wieder versuchen, Gedanken, die um ein Problem oder eine Fragestellung kreisen, zu notieren. Es ist oft hilfreich, einfach drauflos zu schreiben und nicht bewusst auszuformulieren.
Das Schreiben geht nämlich über das einfache Notieren von Ideen hinaus: Es unterstützt durch seine strukturierenden Effekte auch die Ideenfindung.
Der geheime Ort:
Geheimnisse im Tagebuch
Einige Dinge, die im Tagebuch landen, sind auf keinen Fall für andere Augen bestimmt. Und genau hier liegt die besondere Qualität des Tagebuchschreibens: Es dient als Hort der geheimsten Geheimnisse; es ist nicht selten der Giftschrank für unerwidertes Begehren, ungeäußerte Wünsche und unausgesprochene Erlebnisse.
Natürlich haben nicht nur Teenager, sondern auch Erwachsene hin und wieder Redebedarf, den sie mit niemandem teilen können. Das Thema Sexualität dominierte über lange Zeit diesen Bereich. Inzwischen haben wir lange zurückliegende sexuelle Emanzipationsbewegungen, Privatfernsehen und dank Internet jederzeit verfügbare Pornografie als permanentes Hintergrundrauschen.
Ob die Auseinandersetzung mit Aspekten aus diesem Bereich heute noch den Schleier des Geheimnisvollen für sich beanspruchen kann, muss jeder für sich selbst entscheiden. Letztendlich ist es aber egal, um was für ein heikles Thema es sich handelt: Immer wenn es nicht möglich ist, mit nahestehenden Menschen eine sensible Thematik zu besprechen, kann ein Tagebuch diese Lücke füllen.
Lesen, leben und darüber schreiben:
Das Lektüretagebuch
Wer Tagebuch schreibt, liest vermutlich auch hin und wieder ein Buch 😉 Wäre es nicht ein naheliegender Gedanke, die Emotionen, Erkenntnisse und Gedanken aus dem Lesekontext im eigenen Tagebuch zu verarbeiten? Natürlich wird nicht jede Lektüre unser Innerstes berühren und dabei den Bogen zwischen Gelesenem und real Gelebtem spannen lassen.
Trotzdem gibt es diese magischen Momente, in denen das gelesene wie von Zauberhand eine Verbindung zu unserem meist unspektakulär-sachlichen Alltagsleben herstellt. Vielleicht kommt es zu einer spontanen Identifikation zwischen dem Leser und dem fiktiven Helden (oder natürlich auch Heldin), was dann sogar das Verhalten im realen Leben beeinflusst.
Immer, wenn es ein Buch wert ist, können Gedanken und Assoziationen zwischen Lektüre und Leben im Tagebuch notiert und gedanklich vertieft und strukturiert werden.
Fazit und Lesetipp
Natürlich ist diese Liste alles andere als vollständig. Sie soll vor allem dem Zweck einer ersten Orientierung dienen. Die Methode „Einfach-drauflosschreiben“ mag einen intuitiven und unterhaltsamen Einstieg liefern. Allerdings besteht dann eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass man diese Form im Rückblick als unerträglich wahrnimmt.
Insofern tut man gut daran, einige Basics zur Kenntnis zu nehmen. Wer sich intensiver mit Fragen zum Themenkomplex „Tagebuch“ beschäftigen will, findet wertvolle Anregungen in „Schreiben Tag für Tag“ von Christian Schärf, aus dem auch die Anregungen für diesen Beitrag stammen
Zweifelsohne eine ambitionierte Einführung ins Tagebuchschreiben, die vor großen Namen (Goethe, Kafka, Mann) und deren Tagebüchern keinen Halt macht. Für einen ersten soliden Einstieg in die Gattung meiner Meinung nach sehr gut geeignet. Zudem findet man zu allen vorgestellten Formen Übungen, die dabei helfen, den eigenen Stil zu finden und zu perfektionieren.
Viel Erfolg mit gelungenen und immer wieder lesenswerten Tagebüchern!