Die Online-Umfrage der EU zur Abschaffung der Sommerzeit hat die seit 1980 zweimal im Jahr stattfindende Umstellung der Uhren wieder ins Gespräch gebracht. Sommerzeit für immer statt Sommerzeit abschaffen lautet die in den Kommentarspalten oft zu vernehmende Forderung für den Fall, dass in Zukunft nicht mehr an der Uhr gedreht werden soll. Aber: Ist das wirklich sinnvoll?
Inhalt
Sommerzeit abschaffen?
Aber wie?
Irgendwie ist es ja schon irritierend, zwei Mal jedes Jahr zum Zeitreisenden zu mutieren und eine Stunde vor und dann wieder zurück zu springen. Andererseits hat das erstaunliche Ritual inzwischen schon den Status einer Institution erlangt.
Seit knapp 40 Jahren drehen wir im März und Oktober stoisch an der Uhr bzw. erledigen die meisten Zeitmesser diesen Job heute vollautomatisch.
Zwar „verliert“ man zu Beginn der Sommerzeit erst mal eine Stunde, aber die gibt es ja später wieder zurück. Entsprechend unaufgeregt wurde in Medien und Bevölkerung mit der Thematik seit den späten 70er Jahren umgegangen. Mit der Online-Umfrage der EU von 2018 sollte sich dies schlagartig ändern.
Die EU fragt ihre Bürger:
Sommerzeit abschaffen – ja oder nein?
Für Unruhe und mediale Aufmerksamkeit sorgte dann allerdings im Jahr 2018 die Konsultation zur Sommerzeit: Beeindruckende 84 Prozent der Teilnehmer sprachen sich für eine Abschaffung der alljährlichen Zeitumstellung aus.
Zugegeben. Die ganze Chose war kein Referendum. Auch über das politische Gewicht der 4,6 Millionen Teilnehmenden (bei über 420 Millionen wahlberechtigten Europäern) kann man durchaus diskutieren.
Ganz zu schweigen von der Frage, wie viele der Teilnehmenden sich auch nur halbwegs mit Geschichte, Begründungen und nicht zuletzt gesundheitlichen Aspekten der Zeitumstellung auseinandergesetzt haben.
Aber zurück zur EU-Umfrage. Von den 4,6 Millionen Teilnehmenden stammten über drei Millionen aus Deutschland. Zwei Meinungen lassen sich dabei klar erkennen:
Die nervige Uhrenverstellerei gehört abgeschafft und Sommerzeit dauerhaft als neue Normalzeit eingeführt. Die Variante „Sommerzeit abschaffen und zur Normalzeit zurückkehren“ war dagegen für die Mehrheit kein Thema. Das ist durchaus erstaunlich.
Ganz offensichtlich lieben die Deutschen „ihre“ Sommerzeit. Eine Mehrheit wünscht sie sich schließlich als neue Normalzeit. Aber warum ist das so?
Schließlich waren die in den Sommermonaten zurückgedrehten Uhren schon immer Ausdruck von (gescheiterten) Energiespar-Bemühungen und einer Mentalität von „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ bzw. politischen Sachzwängen gewesen.
Sommerzeit? Auch schön!
OK – die Uhrenverstellerei und der durchgeschüttelte Biorhythmus nerven schon. Entschädigt wird man allerdings durch endlose Sommerabende: Lecker grillen mit Freunden und alle möglichen Freizeitaktivitäten bei bestem Sonnenschein und lauem Sommerabendhauch. Was will man mehr?
Die Welt war gut – bis zur eingangs erwähnten EU-Umfrage. Sollte man sich vielleicht wieder mit der alten Standardzeit, ganz ohne Uhrendrehen, anfreunden?
In bemerkenswert emotionaler Weise wird nun darüber diskutiert, wie man um alles in der Welt einen Grill bedienen soll, wenn die Sonne – ganz Old School – eine Stunde früher hinter dem Horizont verschwindet. Ist es hell oder dunkel, wenn man zur Arbeit fährt bzw. heimkommt? Fragen über Fragen und natürlich jede Menge Konfliktpotenzial.
Die unterschiedlichsten Meinungen und vor allem Vorlieben prallen hart aufeinander. Die Debatte ist oft so hitzig – man könnte glatt denken, die 50 Stunden Woche und Rente mit 75 sollten gleichzeitig zum nächsten Ersten eingeführt werden.
Einig sind sich die Deutschen vor allem in einem Punkt: Würde man die Sommerzeit abschaffen, hätte dies weniger natürliches Licht nach Feierabend zur Folge. Das ist eine Tatsache. Offensichtlich wird diesem Aspekt von vielen Bürgern besonderes Gewicht beigemessen.
Wie soll es weitergehen?
Drei Varianten
Wie soll es mit der Sommerzeit weitergehen? Die EU-Umfrage ist kein Referendum und dient wohl in erster Linie als Stimmungsbarometer. Drei Varianten sind für die Zukunft denkbar:
- Variante 1: Alles bleibt wie gehabt. Im März wird die Uhr eine Stunde vor- und im Oktober eine Stunde zurückgestellt.
- Variante 2: Zurück zur mitteleuropäischen Normalzeit, die von manchen fälschlicherweise als „Winterzeit“ bezeichnet wird. Weder im März noch im Oktober irgendwelche Zeitsprünge.
- Variante 3: Uhren bleiben dauerhaft im Modus der Sommerzeit, also eine Stunde vorgestellt.
Betrachtet man die Kommentare unter den Beiträgen zum Thema auf den einschlägigen Nachrichtenseiten im Netz, fällt auf, dass es sehr viele Anhänger von Variante drei gibt. Wenn schon die Uhr-Umstellerei abgeschafft wird, dann bitteschön nur unter Beibehaltung der Sommerzeit. Also das, was die letzten Jahrzehnte zwischen dem letzten Sonntag im März und dem letzten Sonntag im Oktober praktiziert wurde.
Speziell für die Verfechter einer jahresumfassenden Sommerzeit scheinen persönliche Vorlieben im Vordergrund zu stehen. Es ist nun mal eine feine Sache, wenn man abends eine Stunde länger Sonnenschein hat. Viele Aktivitäten, die man im Freien veranstaltet, profitieren. Ob es sich um Grillpartys, Sport oder einfach darum handelt, den Feierabend zu genießen – die Bonusstunde Sonnenschein gefällt.
Persönliche Vorlieben und ein sonniger Feierabend sind schön und gut. Allerdings gibt es auch andere Betrachtungswinkel. Zuerst ist nochmals ins Bewusstsein zu rufen, warum Regierungen immer wieder besondere Sympathie für fröhliches Uhrenverstellen entwickeln. Und dann wäre da noch die Frage, wie es um die gesundheitlichen Aspekte solcher Zeitmanipulationen bestellt ist.
Was ursprünglich hinter der Sommerzeit steckte
„Das leuchtet so schön, deshalb glaubt jeder gleich, da wäre was zu machen.“
Helmut Meitzner,
Energie-Referent
zitiert aus Spiegel 6/1974
Die Sommerzeit ist schon ein alter Hut. Sowohl im Kaiserreich als auch im Dritten Reich wollte man während der Kriegszeiten Energie sparen, die der Rüstungsindustrie zugute kommen sollte. In beiden Fällen war der Erfolg eher bescheiden.
Damit meine ich nicht die beiden trotz Sommerzeit verlorenen Weltkriege, sondern die Tatsache, dass die Einsparungen verschwindend gering waren. Zwar wurde Strom für abendliche Beleuchtung gespart. Im Gegenzug wurde morgens aber mehr geheizt. Klar: Je früher der Morgen, desto niedriger die Temperaturen. Und wer friert schon gerne morgens nach dem Aufstehen?
All das war in den 70er Jahren sehr wohl bekannt. Trotzdem entschloss sich die Bundesregierung für einen erneuten Versuch. Nicht zuletzt, um mit europäischen Nachbarn wie Frankreich auf einer gemeinsamen „Zeit-Welle“ zu liegen. Nennenswerte Energieeinsparungen wurden natürlich nicht realisiert.
Und heute? Durch moderne Lampen ist das kaum vorhandene Sparpotenzial inzwischen noch weiter gesunken. Ökologische oder wirtschaftliche Gründe kann man zugunsten der Sommerzeit somit nicht ins Feld führen. Wären da noch die gesundheitlichen Aspekte.
Sommerzeit abschaffen?
Zugunsten der Gesundheit!
Wenn die Sommerzeit wirtschaftlich ein kompletter Reinfall war, sind die ursprünglichen Argumente für ihre Einführung hinfällig. Nun ist es aber so, dass der eine Stunde später stattfindende Sonnenuntergang von vielen als positiv wahrgenommen wird. Diese Sichtweise möchte ich allerdings infrage stellen.
Warum? Weil sie für die meisten Menschen ein Schlafräuber ist und so auf ziemlich heimtückische Weise unsere Leistungsfähigkeit und Gesundheit gefährdet.
Gesund und leistungsfähig durch Schlaf
Das Schlaf eine absolute Notwendigkeit darstellt, habe ich bereits im Beitrag Zeitgewinn durch weniger Schlaf? ausführlich erläutert. Zur kurzen Erinnerung: Schlaf sorgt dafür, dass alles was im Wachzustand geschieht, im Gehirn optimiert abgespeichert wird. Ohne Schlaf könnten wir z. B. nicht langfristig lernen oder Erinnerungen speichern.
Auch laufen Immunsystem und Zellregeneration auf Hochtouren, wenn wir schlafen. Wer dauernd zu wenig schläft, hat ein höheres Risiko für Krankheiten wie z. B. Diabetes und ist zudem weniger kreativ und leistungsfähig.
Leider haben die Menschen in den Industrienationen trotzdem nicht selten ein gespanntes Verhältnis zu der nächtlichen Bewusstlosigkeit.
Wer wenig schläft und im Beruflichen wie Privaten funktioniert, erfährt in unserer Gesellschaft besondere Anerkennung.
Nicht selten prahlen Spitzenleute aus den Bereichen Medien, Wirtschaft und Politik mit ihren geringen Schlafpensen. Das ist kurzsichtig und falsch.
Sozialer Jetlag in den Industrienationen
Zusätzlich sorgt der frühe Arbeitsbeginn in vielen Branchen dafür, dass ein großer Teil der Bevölkerung morgens mehr oder weniger rabiat vom Wecker aus den Träumen gerissen wird und nicht durch natürliches Ausgeschlafensein.
Warum brauchen so viele Menschen morgens überhaupt einen Wecker? Liegt das wirklich nur an deren schlechten Schlafgewohnheiten? Finden sie abends einfach kein Ende und gehen zu spät ins Bett? Jenseits von Binge-Watching und unkontrolliertem Internetsurfen gibt es noch eine Reihe anderer Faktoren, die uns den Schlaf rauben.
Der Ausgangspunkt des Problems liegt darin, dass die biologische innere Uhr der Menschen oft nicht kompatibel mit der Arbeitswelt in den modernen Nationen ist. Diese Uhr steuert, wann wir munter und müde werden. Fatal an der Sache ist, dass es sich hier um genetische Vorgaben handelt, die nur in engem Rahmen verändert werden können.
Wenn die innere Uhr aus dem Gleichgewicht gerät
Die Mehrzahl aller Menschen hat eine innere Uhr, die über den 24 Stunden (tendenziell eher 25 Stunden) des Tages liegt. Entsprechend werden diese Menschen morgens erst etwas später munter. Zum Glück gibt es etwas, das die innere Uhr jeden Tag aufs Neue korrekt einstellt: Tageslicht.
Jeder Morgenmuffel sollte, wenn irgendwie möglich, nach dem Aufstehen so viel Licht wie nur möglich „aufsaugen“. Damit empfehle ich nicht, mit bloßem Auge in die Sonne zu starren, während man auf den Bus wartet. Aber hin und wieder bewusst den Blick gen Himmel richten, sorgt schnell für mehr Wachheit.
Da viele Menschen sich kaum noch im Freien aufhalten, bekommen sie allerdings viel zu wenig Sonne ab, um ihre innere Uhr möglichst früh auf Tagesbetrieb vorzustellen. Büroräume mit Kunstlicht können mit der Sonne, selbst bei trübem Wetter, nicht mithalten. Getönte Fenster und Sonnenbrillen tun ihr Übriges dazu, um uns in zombieartiger Schläfrigkeit länger als notwendig gefangen zu halten.
Morgens müde, abends munter
Doch damit ist noch nicht das Ende des negativen Effekts von zu wenig Licht erreicht! Wie bereits dargestellt wird die innere Uhr bei vielen Morgenmuffeln mangels Sonnenlicht nicht zeitig korrigiert.
Entsprechend werden diese Menschen dann abends erst später müde, was wiederum auf Kosten ausreichend langen Schlafs geht. Bleibt es durch vorgestellte Uhren dann zusätzlich auch noch länger hell, verschiebt sich der Schlaf nochmals weiter in die Nacht. Das Licht behindert nämlich die Produktion des Schlafhormons Melatonin.
Das Ganze nennt sich dann sozialer Jetlag. Morgens müssen die Betroffenen zu früh raus und abends können sie nicht schlafen, da ihre inneren Uhren immer noch nicht auf Schlummermodus eingestellt sind und zu viel Sommerzeit-Licht ihnen den Schlaf erst recht schwer macht.
Als Ergebnis baut sich im Laufe der Woche immer mehr Müdigkeit auf. Das ist der Grund, warum viele am Wochenende deutlich länger schlafen. Und manchmal reicht selbst das Wochenende nicht aus, um den versäumten Schlaf nachzuholen. Erschöpfung und chronische Müdigkeit sind die Konsequenzen.
„Echte“ Frühaufsteher mit Seltenheitswert
Die „echten“ Frühaufsteher (ihre biologische Uhr läuft schneller als 24 Stunden, entsprechend beginnt ihr Wachsein früher) stellen die Minderheit in der Bevölkerung. Aber sie sind die Einzigen, die tatsächlich keine nennenswerten Nachteile durch eine permanente Sommerzeit hätten. Sie sind morgens durch ihre „schnelle“ innere Uhr automatisch munter – auch wenn es an Licht mangelt.
Der Rest der Bevölkerung hat allerdings mehr oder weniger starke Nachteile hinsichtlich der Schlafqualität. Und diejenigen, die man als „Eulen“ bezeichnet, ganz besonders! So wie es einerseits Frühaufsteher („Lerchen“) gibt, existieren auch Menschen, die abends erst viel später müde und morgens demnach deutlich später ausgeschlafen sind. Gene können manchmal Arschlöcher sein 😉
Nicht jeder, der lang schläft, ist ein Langschläfer!
Letztere als „Langschläfer“ zu bezeichnen, macht jedoch keinen Sinn. Der Schlafumfang ist nicht der entscheidende Unterschied. Vielmehr sind es die inneren Uhren, die unterschiedlich ticken. Das Ergebnis nennt man dann unterschiedliche „Chronotypen“.
Permanente Umstellung auf Sommerzeit?
Besser nicht!
Was hat das alles mit der Sommerzeit zu tun? Der Tag wird immer 24 Stunden haben, egal wie man die Uhren verstellt. Trotzdem verschärft eine dauerhafte um eine Stunde vorgestellte Uhr die genannten Probleme.
Der eh schon problematische Lichtmangel am Morgen wird verstärkt, da es faktisch eine Stunde später hell wird. Die natürliche Müdigkeit am späten Abend noch weiter in Richtung Nacht verschoben. Die Gefahr, dass der nächtliche Schlaf noch weiter schrumpft, liegt auf der Hand.
Eine durchgängige Sommerzeit schwächt die einzige Stellschraube, mit der wir unsere innere Uhr halbwegs den beruflichen und gesellschaftlichen Anforderungen anpassen können. Das klingt alles sehr theoretisch. Aber jeder kann auf einfache Weise testen, ob er oder sie zu den Betroffenen gehört:
- Schläft man am Wochenende länger als unter der Woche?
- Macht sich im Laufe der Woche zunehmende Müdigkeit oder sogar Erschöpfung bemerkbar?
- Schläft man im Urlaub länger bzw. anders hinsichtlich der Einschlaf- und Aufwachzeiten?
Sommerzeit abschaffen für Kinder und Jugendliche!
Wer auch nur eine der Fragen mit ja beantwortet, hat von einer dauerhaft auf Sommerzeit vorgestellten Uhr eher Nachteile zu erwarten. Garantiert zu den Leidtragenden gehören die meisten Jugendlichen, die sich frühmorgens zur Schule quälen müssen. Sie tendieren altersbedingt eher zum Schlafmuster Eule.
Wissenschaftler fordern schon lange, dass man der schon mit Hautunreinheiten gestraften Gruppe der jungen „Eulen-Menschen“ keinen Schulbeginn vor 9 Uhr zumuten sollte. 10 Uhr wäre wahrscheinlich noch besser. Eben weil effizientes Lernen nur ausgeschlafen richtig gut funktionieren kann. Auch diese Gruppe wird durch sommerzeitlich verstellte Uhren in ihrem natürlichen Rhythmus sabotiert.
In Anbetracht der Tatsache, wie wichtig schulisches Lernen für die Zukunftschancen junger Menschen ist, handelt es sich nicht um Peanuts oder Luxusprobleme. Auch mehren sich die Anzeichen von einem Zusammenhang zwischen Schlafqualität, -umfang und der Häufigkeit von ADHS bei jungen Kindern und Jugendlichen.
Sommerzeit abschaffen ist somit ohne Zweifel ein wichtiger und richtiger Schritt zugunsten der Gesundheit und Leistungsfähigkeit junger Menschen.
Fazit:
Besser zurück zur alten Normalzeit!
Mal im Ernst: Nehmen wir mal an, die Uhr-Umstellerei wird tatsächlich abgeschafft. Und nehmen wir zusätzlich an, wegen der tollen langen Sommerabende fällt die Entscheidung zugunsten einer dauerhaften Sommerzeit aus.
Nun ist diese „permanente Sommerzeit“ nichts anderes als die Zeitzone unserer östlichen Nachbarn. Wir haben dann also nichts anderes als lustiges Zeitzonen-Jumping betrieben. Willkommen in der Osteuropäischen Zeitzone (OEZ)!
Als besondere Extras gibt es zur Wintersonnenwende einen Sonnenaufgang zwischen neun und halb zehn. Will man das – in Anbetrachtet der negativen Auswirkungen auf die Schlafdauer und -qualität – wirklich?
In Anbetracht der gesundheitlichen Aspekte von zu wenig oder gestörtem Schlaf erscheinen die langen hellen Sommerabende eher wie Luxuswünsche, für die viele einen großen Preis zahlen müssten. Wenn wir die Sommerzeit abschaffen, dann nur zugunsten der „alten“ Normalzeit!