Etwa ein Drittel unseres Lebens verbringen wir im Zustand schnarchender Bewusstlosigkeit. Nicht sonderlich attraktiv in einer Gesellschaft, in der es fast schon zum guten Ton gehört, das Klagelied der knappen Zeit bei jeder Gelegenheit anzustimmen. Der Beitrag gibt einen Überblick darüber, warum wir ausreichend schlafen müssen und entlarvt zudem eine Reihe populärer Versprechen aus dem Bereich der „Persönlichkeitsentwicklung.“
Inhalt
Weniger schlafen und mehr leisten:
Ungehobener Schatz oder Utopie?
Zeit ist viel zu oft knapp. Was würde man nicht alles tun, nur um etwas mehr von dem kostbaren Gut zu bekommen? Wie weit würde man dafür gehen? Aber Moment mal – die meisten Menschen verbringen ein Drittel ihrer gesamten Existenz schlafend! Liegen hier vielleicht ungehobene Zeitschätze verborgen?
Genau diese Hoffnung wird von einer Reihe sehr erfolgreicher Akteure aus dem Bereich der „Persönlichkeitsentwicklung“ bedient.
Steve Pavlina, Tim Ferriss und Hal Elrod sind Stars in der US-amerikanischen Selbstoptimierungs-Szene. Aber auch in Deutschland verkaufen sich ihre Publikationen und werden in unzähligen Blogs thematisiert. Jeder von ihnen hat sich seine ganz persönlichen Gedanken zum Thema Schlaf gemacht.
Lichtgestalten der Selbstoptimierung:
Pavlina – Ferriss – Elrod
Eins vorab: Ich mag die Blogbeiträge und Bücher von Steve Pavlina und Tim Ferriss. Ihre Texte sind mitreißend geschrieben und enorm motivierend. Sogar Hal Elrod erweist sich als leidlich unterhaltsam, solange er sich nicht zu sehr als Überflieger verklärt.
Wie auch immer. Wenn sich diese Herren ein Projekt vornehmen, werden die virtuellen Persönlichkeitsentwicklungsärmel hochgekrempelt und es geht in die Vollen. Egal was das Ziel ist: Ihr Vorgehen ist immer unorthodox, jenseits des Mainstreams und zudem ungemein erfolgreich.
Alle drei haben damit experimentiert, die üblichen sechs bis acht Stunden nächtlichen Schlaf zu optimieren. Optimieren bedeutet hier vor allem: reduzieren.
Das Versprechen der Selbstoptimierer
Die zentrale These lautet, dass Menschen eigentlich mit viel weniger Schlaf auskommen könnten als normalerweise praktiziert. Das klingt natürlich sehr verlockend. Und irgendwie auch zu schön, um wahr zu sein. Spontan drängen sich einige Fragen auf:
- Ist es tatsächlich möglich, langfristig mit nur zwei Stunden Schlaf (Pavlina) innerhalb von 24 Stunden auszukommen?
- Und das zudem ohne Einschränkungen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit?
- Ist massiv reduzierter Schlaf unbedenklich für die Gesundheit?
- Kann es wirklich nur reine Kopfsache (Elrod) sein, ob man sich erholt oder erschöpft bzw. müde fühlt?
Die Strategie, mit der Pavlina und Ferriss ihr Schlafbedürfnis reduzieren, fällt unter die Rubrik der polyphasischen Schlafmuster. Im Gegensatz zum gewöhnlichen monophasischen Schlaf als ein mehr oder wenig langer Block in der Nacht, wird in mehreren Abschnitten über 24 Stunden verteilt geschlafen. Dazu später mehr. Werfen wir zuerst einen Blick darauf, was die genannten Herren anpreisen.
Der Übermensch:
Steve Pavlina
Steve Pavlina stellt sicher einen der extremsten Vertreter reduzierten Schlafs dar. Er praktizierte die sogenannte Übermensch-Methode („Uberman“) fast ein halbes Jahr. Es handelt sich hier um die absolute Hardcore-Version eines eines polyphasischen Schlafmusters. Konkret: Innerhalb von 24 Stunden nur zwei Stunden Gesamtschlafdauer verteilt auf sechs 20-minütige Nickerchen.
Bereits 2005 dokumentierte er über fünfeinhalb Monate seine Erfahrungen mit dieser Brecheisenmethode (siehe hier). Nachdem die Umstellung gelungen war, konnte er seinen Verpflichtungen wie immer nachkommen, hatte aber einen Zeitbonus von vier Stunden pro Tag gewonnen.
Im Netz wimmelt es seit dieser Zeit an (gescheiterten) Versuchen es ihm gleichzutun. Wobei viele der gescheiterten Uberman-Jünger es auch nicht sonderlich genau mit den Vorgaben (kein Kaffee, striktes Einhalten der exakt geplanten Schlafphasen, zwei Wochen Eingewöhnungszeit usw.) genommen haben.
Der Jedermann:
Tim Ferriss
Auch Tim Ferriss hat in seinem 2010 erschienenen Buch „Der 4-Stunden-Körper“ ein Kapitel zum polyphasischen Schlaf untergebracht. Er bevorzugt für sich selbst allerdings eine weniger radikale Version, die man als „Everyman“ bezeichnet (je nach Variante zwischen knapp drei und gut fünf Stunden Schlafpensum). Zudem macht er sich Gedanken darüber, wie es um das grundlegende Schlafbedürfnis des Menschen bestellt ist.
„Ist es möglich, halb so lange zu schlafen und sich trotzdem vollkommen erholt zu fühlen? Die knappe Antwort lautet: Ja.“
Ferriss 2011: S. 317
Ferriss ist sich in seinem Kapitel zum polyphasischen Schlaf („Wie werde ich zum Übermensch?“) nicht zu schade, einen bemerkenswerten Vergleich zu bemühen: Er sinniert – ganz wissenschaftlich – darüber, dass Giraffen 880 Kilogramm wiegen und trotzdem im Durchschnitt nur 1,9 Stunden schlafen.
„Acht Stunden pro Nacht treffen auf den größten Teil des Tierreichs nicht zu. Gibt es also einen Grund, warum es Menschen nicht den Giraffen gleichtun könnten?“
(ebd.)
Tja. Möglicherweise deshalb nicht, weil Menschen nun mal Menschen und keine Giraffen sind? Auch erscheint der hergestellte Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Schlafdauer alles andere als plausibel.
Hätte Ferriss wenigstens das Gewicht der Gehirne verglichen (Mensch ca. 1400 Gramm, Giraffe etwa halb so schwer). Wobei auch das nur begrenzte Aussagekraft gehabt hätte.
Dass zudem ein kleiner Unterschied zwischen der Leistungsfähigkeit der Gehirne von Menschen und Giraffen besteht, ignoriert Ferriss ebenfalls geflissentlich. Es wäre ja denkbar, dass die hochgradig anpassungs- und lernfähigen Menschenhirne eine Extramütze Schlaf ganz besonders benötigen.
Alles reine Kopfsache:
Hal Elrod
Hal Elrod soll für den Anfang die rosigen Aussichten auf mehr Zeit durch weniger Schlaf abschließen. „Miracle Morning“ (2016) nennt sich sein Programm für einen „alles verändernden“ Einstieg in den Tag.
Neben einer Tour de Force aus Meditation, Bewegung und einigen weiteren guten Zutaten aus dem Werkzeugkoffer des Persönlichkeitsentwicklers, geht es auch um möglichst frühes Aufstehen.
Klar, dass sich hier die Frage nach dem notwendigen Schlafpensum aufdrängt. Mister Elrod verblüfft mit einer so einfachen wie genialen – und garantiert wirkungslosen – Lösung. Es braucht lediglich folgende Affirmation:
„Danke, dass ich heute Nacht fünf Stunden schlafen darf. Fünf Stunden sind genau die Menge Schlaf, die ich brauche, um mich morgens ausgeruht und voller Energie zu fühlen. Mein Körper ist zu wunderbaren Dingen fähig. Ich bestimme, wie ich die Realität wahrnehme, und ich habe mich dafür entschieden, morgen energiegeladen und voller Tatendrang aufzuwachen. Dafür bin ich dankbar.“
Elrod 2016: S. 72
Im weiteren Text darf der beeindruckte Leser erfahren, dass der Autor dank dieses Mantras auch mit vier Stunden Schlaf bestens auskommt. Glückwunsch!
Ich hoffe, dass Hal Elrod nach dem Genuss einiger Biere nicht auf die Idee kommt, die Realität nach eigenem Gusto wahrzunehmen und bestens gelaunt in sein Auto statt in ein Taxi steigt.
Ob die selbst induzierte Nüchternheit auch bei einer Alkoholkontrolle funktioniert? Man darf gespannt sein.
Warum weniger Schlaf keine Option ist
Die bis hier vorgestellten Positionen sind sich darüber einig, dass es ohne Zweifel möglich ist, mit deutlich weniger Schlaf als dem gewöhnlichen Pensum von sechs bis acht Stunden auszukommen. Aber warum soll das so sein? Warum schlafen die meisten Menschen offensichtlich viel länger, als notwendig? Oder anders formuliert: Wie ist es möglich, auch mit deutlich weniger Schlaf gut auszukommen?
Auf den Geniestreich von Hal Elrod möchte ich nicht weiter eingehen. Es ist einfach zu albern ernsthaft zu glauben, bereits dadurch ausgeschlafen und fit zu sein, indem man sich dies selbst einredet. Wer morgens nach einer zu kurzen Nacht zur Arbeit, Schule oder Uni muss, kann ja gerne ausprobieren, ob man sich so leicht von der eigenen Ausgeschlafenheit überzeugen kann.
Deutlich vielversprechender erscheint da schon der Ansatz des polyphasischen Schlafs. Laut Pavlina und Ferriss ist er die ultimative Methode für effizienteren Schlaf. Schlaf 2.0 sozusagen.
Wunderwaffe polyphasischer Schlaf?
Die Strategie, mit der Pavlina und Ferriss ihr Schlafbedürfnis reduzieren, fällt unter die Rubrik der polyphasischen Schlafmuster. Im Gegensatz zum gewöhnlichen monophasischen Schlaf als ein mehr oder wenig langer Block in der Nacht, wird in mehreren Abschnitten über 24 Stunden verteilt geschlafen. Es gibt hier eine Reihe von Varianten, die sich sowohl in der Anzahl der Schlafeinheiten als auch in deren Länge unterscheiden.
Warum sollte man seinen Schlaf in einzelne Einheiten zerstückeln?
Beim Konzept des Uberman wird diese Technik auf die Spitze getrieben: Sechs mal 20 Minuten Schlaf auf die 24 Stunden des Tages verteilt sollen angeblich ausreichen, um weiter gut funktionieren zu können. Nach einer harten Anpassungsphase, in der man sich alles andere als glänzend fühlt, soll es gelingen, direkt in den sogenannten REM-Schlaf zu gleiten.
REM-Schlaf = Premiumschlaf?
Insgesamt können vier verschiedene Schlafphasen anhand idealtypischer Hirnwellenmuster unterschieden werden. Zur Vereinfachung beschränke ich mich hier auf die Unterscheidung in Non-REM und REM-Schlaf.
Die Verfechter polyphasischer Schlafmuster gehen davon aus, dass vor allem der REM-Schlaf besonders wertvoll sei. Alle Einsparungen in der Gesamtschlafdauer werden auf diese These zurückgeführt. Möglichst viel REM und möglichst wenig Tiefschlaf = effizienter Schlaf.
„REM“ bedeutet „rapid eye movements“ und bezieht sich auf die für diese Schlafphase typischen schnellen Augenbewegungen. Während dieser Phase machen sich nicht selten intensive Träume bemerkbar, die aber nur dann erinnert werden können, wenn wir in unmittelbarer zeitlicher Nähe wach werden.
Was die Funktion von Träumen angeht, gibt es keine einheitliche Position in der Wissenschaft. Allerdings herrscht weitgehender Konsens darüber, dass in der REM-Phase die Weiterverarbeitung bzw. Neuorganisation kognitiver Vorgänge aus dem Bereich des Wachseins stattfindet.
Einfacher gesagt: Speicherung und Verfestigung von Erinnerungen und Gelerntem finden hier statt. Das ist tatsächlich eine sehr wichtige Leistung für den Menschen der Moderne. Fazit: Wer lernt, braucht unbedingt REM-Schlaf!
Gesetz den Fall, man schafft es tatsächlich, ausreichend REM-Schlaf zu bekommen und in erster Linie die Non-REM-Phasen zu reduzieren, könnte auch eine deutlich kürzere Gesamtschlafdauer funktionieren. Aber wir wollen es uns nicht zu einfach machen und das große Ganze nicht aus den Augen verlieren.
Schlaf ist mehr als nur REM-Phasen
Treten wir einen Schritt zurück. Angenommen, wir schaffen es tatsächlich, nach einer Übergangsphase unseren Schlaf auf Kosten der Non-REM Phasen zu reduzieren. Alles prima; man fühlt sich klasse – fast schon etwas übermenschlich 😉 Zudem hat man natürlich Zeit ohne Ende.
Moment! Schauen wir uns zuerst einmal an, was bei dieser „Schlafkultur“ alles auf der Strecke bleibt. Wie sich zeigen wird, ist ein nicht unerheblicher Preis zu zahlen. Sowohl aus evolutionärer Sicht als auch hinsichtlich des massiv reduzierten Tiefschlafs bleiben große Fragezeichen hinsichtlich der schönen neuen Kurzschlaf-Welt.
Weniger Schlaf aus Sicht der Evolution
Schlaf ist eine essenzielle Eigenschaft, die von den einfachsten bis hin zu den komplexesten Lebensformen auf unserem Planeten zu finden ist. Vom simplen Fadenwurm bis zum Schimpansen, von der Küchenschabe bis zum Nobelpreisträger.
Betrachtet man die mittels EEG sichtbar gemachten Hirnströme des Menschen und die daraus abzuleitenden Schlafphasen, so handelt es sich um Abläufe, die sich in Millionen Jahren Evolution herausgebildet haben. Das gilt auch für die Tatsache, dass erwachsene Menschen normalerweise nachts mehrere Stunden schlafen und dabei in mehreren Abschnitten die einzelnen Phasen des Non-REM und REM-Schlafes durchlaufen. Warum ist das so?
Die nächtlichen Schlafzyklen folgen einem festgelegten Muster aus Non-REM und REM-Phasen. Die unterschiedlichen Hirnaktivitäten lassen auf komplexe, aufeinander abgestimmte, Prozesse schließen. Lediglich eine Komponente herauszupicken, erscheint durchaus problematisch.
Synergieeffekte und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Phasen würden so zerstört. Besonders im Tiefschlaf laufen elementare Prozesse körperlicher Regeneration ab, worauf ich später noch eingehen werde.
Warum schlafen wir normalerweise nachts? Vermutlich war es für unsere Vorfahren weniger die Angst vor Geistern und Raubtieren, die sie tagaktiv machten. Viel naheliegender ist die Tatsache, dass tagsüber leichter an Nahrung heranzukommen ist.
Aus evolutionärer Sicht müsste man sagen: Wer tagsüber munter war, hatte bessere Chancen sich mit Nahrung zu versorgen und zusätzlich den Angriffen von tagaktiven Raubtieren aus dem Weg zu gehen. Und konnte demnach auch mit besseren Erfolgsaussichten seine Gene weitergeben. Meine persönliche, zugegebenermaßen stark vereinfachte, Lieblingsdefinition von Evolution lautet übrigens: Was funktioniert bleibt erhalten.
Über Jahrmillionen gewachsene hormonelle Steuerung
Entsprechend wurde ein hormonelles System begünstigt, das dafür sorgt, abends müde und morgens wach zu werden. Und tatsächlich reagieren wir bis heute mit Schläfrigkeit auf die Dunkelheit (Melatonin) und mit Wachheit auf das Licht der Morgensonne (Cortisol).
Der mächtigste Taktgeber für unsere innere Uhr ist der Tag-Nacht-Rhythmus. Wer polyphasisch schläft, ignoriert die grundlegende Steuerung der biologischen inneren Uhr! Ob es möglich ist, die enormen Zeitspannen evolutionärer Entwicklungen und Notwendigkeiten einfach abzustreifen, erscheint mehr als fragwürdig.
Ja aber: Babys und Cristiano Ronaldo
Wie so oft gibt es hier ein „Ja, aber!“ Neugeborene schlafen polyphasisch und – so ging es wenigstens jüngst durch die Presse – auch Cristiano Ronaldo. Dessen Schlafcoach hat das Schlafverhalten des Superfußballers auf ein polyphasisches System umgestellt.
Abgesehen davon, dass die Möglichkeiten des Durchschnittsbürgers kaum mit denen von Herrn Ronaldo deckungsgleich sein dürften – auch dieser schläft fünf mal 90 Minuten pro Tag. Und liegt mit insgesamt 7,5 Stunden deutlich über den Versprechen von Pavlina, Ferriss und Co.
Interessant ist hier auch die Tatsache, dass Ronaldo einen kompletten Zyklus aus Non-REM und REM-Phasen durchläuft. Hier gibt es keine Tricksereien hinsichtlich minderwertigem Tiefschlaf und Einsparpotenzialen!
Mehr Zeit auf Kosten des Tiefschlafs
Die bereits erwähnte These vom hochwertigen REM-Schlaf und dem minderwertigen Non-REM-Schlaf sollte ebenfalls überprüft werden. Hier wäre vor allem der Tiefschlaf genauer unter die Lupe zu nehmen.
In den Tiefschlafphasen kommt es zu einer deutlich verstärkten Ausschüttung von Wachstumshormon, das für die Zellteilung und somit die generelle Regeneration des Körpergewebes (z. B. Wundheilung) von entscheidender Bedeutung ist.
Für Kinder und Jugendliche, die sich noch im Wachstum befinden, hat dieses Hormon zudem große Bedeutung für das generelle Längenwachstum. Wer in diesem Alter schlecht schläft, bleibt deshalb oft kleiner.
Neben der Ausschüttung von Wachstumshormon läuft im Tiefschlaf auch unser Immunsystem auf Hochtouren: Es erzeugt neue Abwehrzellen; auch bildet das Rückenmark neue rote Blutkörperchen.
Es dürfte klar geworden sein, dass die Tiefschlafphase alles andere als ein Schlaf zweiter Klasse ist. Wem es tatsächlich gelingt, diesen Schlafmodus massiv zu reduzieren, wird schrittweise seine körperliche Leistungsfähigkeit sabotieren. Wer Sport macht, gefährdet seine Trainingsfortschritte. Das Immunsystem ist ebenfalls zunehmend geschwächt. Wer möchte diesen Preis für ein paar zusätzliche Stunden wirklich zahlen?
Nebenwirkungen von zu wenig Schlaf
Jenseits aller Theorien von polyphasischen Schlafmustern und den Heldengeschichten der Selbstoptimierungsgurus: Es gibt eine Menge Menschen, die zu wenig oder qualitativ schlecht schlafen. Das führt zu einer Reihe von schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit. Hier eine knappe Übersicht:
- Wer zu wenig schläft, bekommt als Quittung deutlich eingeschränkte Konzentrations-, Urteils- und Gedächtnisfähigkeit. Generell kommt es zu einem deutlichen Abfall der Leistungsfähigkeit.
- Es besteht die Gefahr, eines lebensgefährlichen Sekundenschlafs. Lebensgefährlich dann, wenn man Auto fährt oder mit potenziell gefährlichen Maschinen oder Substanzen arbeitet.
- Nach 17 Stunden ohne Schlaf schneiden Menschen in Leistungstests genauso schlecht ab wie jemand, der 0,5 Promille Alkohol entspricht. Nach 24 Stunden sind wir schon in einem Bereich, der einem Promille entspricht! In ihrer Selbsteinschätzung fühlten sich Probanden aber meist absolut leistungsfähig – im Test scheiterten sie dann allerdings. Diese Tatsachen stellen die (scheinbare) Leistungsfähigkeit der polyphasischen Kurzschläfer massiv infrage.
- Bei dauerhaftem Schlafentzug setzt nach etwa zwei Wochen eine Gewöhnung an den Zustand ein. Man fühlt sich nicht mehr so müde, ist aber leistungstechnisch weiterhin massiv eingeschränkt – und merkt es nicht einmal!
- Schulkinder mit Schlafstörungen haben oft schlechtere Noten. Auch wird ein Zusammenhang zwischen ADHS und Schlafstörungen vermutet, da beides oft gemeinsam auftritt.
- Schlafmangel fördert das Risiko von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und begünstigt Übergewicht. So wurde in Studien ein Zusammenhang zwischen zu wenig Schlaf und einem erhöhten BMI festgestellt. Es wird vermutet, das ein erhöhter Spiegel des Hormons Ghrelin für mehr Appetit sorgt.
- Schlafmangel schwächt das Immunsystem und sorgt für schlechtere Wundheilung, da weniger Wachstumshormon produziert wird. Letzteres wird vor allem durch zu wenig Tiefschlaf verursacht.
Fazit:
Nicht weniger, sondern besser schlafen!
Die Frage, warum letztendlich geschlafen werden muss, ist zurzeit noch nicht beantwortet. Und vermutlich wird das auch auf unbestimmte Dauer so bleiben. Trotzdem: Inzwischen ist erstaunlich viel über die Mechanismen und Funktionen des Phänomens Schlaf bekannt. Vor allem was die negativen Auswirkungen von zu wenig und gestörtem Schlaf angeht, gibt es viele wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse. Eine guten Überblick hinsichtlich der gesundheitlichen Problematik findet sich z. B. bei Peter Spork (siehe folgende Anzeige).
Polyphasische Schlafmuster keine echte Option
Für 99 Prozent der erwachsenen berufstätigen Bevölkerung stellen polyphasische Schlafmuster keine ernsthafte Option dar. Die zeitlichen Alltagsstrukturen sind in der Regel zu starr, um über den Tag mehrere Schlafphasen unterbringen zu können.
Andererseits leben wir in Zeiten von Homeoffice und zunehmender Flexibilisierung der Arbeitswelt. Vor allem in der Gruppe der Selbstständigen könnte polyphasischer Schlaf in Einzelfällen Sinn machen. Wenn Cristiano Ronaldo sportliche Höchstleistungen mit dieser Methode bringen kann, scheint das Ganze nicht vollkommen abwegig zu sein.
Entscheidend ist, dass die einzelnen Schlafzyklen vollständig zum Zuge kommen. Der Verzicht auf Tiefschlaf hätte – wie gezeigt – fatale Konsequenzen für die Gesundheit. Ebenfalls muss die Gesamtschlafdauer ausreichend sein. Was definitiv keinen Sinn macht, ist der Versuch, langfristig mit deutlich reduziertem Schlaf auszukommen.
Die Möglichkeit für ein Nickerchen am Nachmittag wäre zwar hinsichtlich der individuellen Leistungsfähigkeit sinnvoll, hat aber in Deutschland keine Kultur und leider auch (noch) keine Lobby. Man kann nur hoffen, das in Zukunft hier ein Umdenken bei den Arbeitgebern stattfindet. Letztendlich nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag – haben doch gerade diese ein grundlegendes Interesse an leistungsfähigen und gesunden Mitarbeitern.
Weniger Schlaf:
Nicht mehr, sondern weniger Zeit
Bei allen Überlegungen zum Themenbereich Zeitknappheit muss immer der Qualitätsaspekt im Mittelpunkt stehen. Nehmen wir einmal an, dass es tatsächlich möglich wäre, mit nur halb so viel Schlaf wie üblich auszukommen.
Der Bonus von drei Stunden pro Tag wäre teuer erkauft. Bereits die deutlich reduzierte Leistungsfähigkeit würde die gewonnene Zeit weitestgehend vernichten. Hinzu kommen die bereits genannten massiven Gesundheitsrisiken. Ein wirklich schlechter Deal.
Was die Versprechen aus den Reihen der Selbstoptimierer angeht: Diese kann man getrost vergessen. Womit ich nicht sagen will, dass in den Publikationen von Steve Pavlina und Tim Ferriss nur Unfug steht. Sie liefern interessante Anregungen, die zum selbst Ausprobieren einladen.
Allerdings sollte man eine gesunde Portion Zweifel mitbringen – vor allem dann, wenn wieder einmal der Stein der Weisen zum Schnäppchenpreis angeboten wird. So auch die Versprechungen hinsichtlich massiv reduzierten Schlafs, die sich bei genauerem Hinsehen als Mogelpackung entpuppen.
Was kann man tun?
Als Fazit wäre zu sagen, dass Zeitgewinn durch weniger Schlaf nicht funktionieren kann. Schlaf ist nun mal eine Notwendigkeit. Entsprechend besteht die einzig sinnvolle Strategie darin, das Beste aus dieser Notwendigkeit herauszuholen. Wer keinerlei Probleme mit dem Ein- und Durchschlafen hat – wunderbar!
Für alle anderen: Wer Probleme hinsichtlich der Schlafqualität hat, tut gut daran, sich mit den Grundlagen zu beschäftigen. Wie ist es um die sogenannte Schlafhygiene bestellt? D. h. besteht ein optimaler Rahmen, der guten Schlaf überhaupt möglich macht? Bei bereits länger bestehenden Problemen sollte evtl. ein Arzt zurate gezogen werden.
Vermutlich liegt die Lösung von knapper Zeit eher in mehr Schlaf als bei den Behauptungen einiger Selbstoptimierungs-Gurus. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass es sich oft nur um leere Versprechen handelt.