Wer Veränderungen zu einem besonderen Zeitpunkt wie Jahreswechsel, Geburtstag oder einem anderen markanten Termin plant, kann vom sogenannten „Fresh-Start-Effect“ profitieren. Dieser mit einem zeitlichen Meilenstein verknüpfte Neustart sorgt für zusätzliche Motivation beim Verfolgen von Zielen und lässt die Erfolgsaussichten steigen. Wie der Neustart gelingt und welche Fallstrick zu vermeiden sind, erfährst du in diesem Beitrag.
Inhalt
Ziele mit dem Fresh-Start-Effect erreichen
Wir alle kennen das Gefühl des Neuanfangs. Der erste Schultag oder der Einstieg in einen neuen Job – sogar der Beginn der Woche am Montagmorgen hat eine besondere Qualität. Auf treffende Weise beschrieb schon Hermann Hesse die Magie des Anfangs:
Hermann Hesse: Stufen
Wie ich in diesem Beitrag zeigen möchte, gibt es eine wissenschaftliche Basis für die im Hesse-Gedicht angesprochene Schutzfunktion des unbelasteten Neuanfangs. Diese hilft, Ziele zu erreichen und Selbstzweifel zu überwinden. Warum also nicht den Effekt bewusst einsetzen?
Fresh-Start-Effekt: Stichtag zum neuen Selbst
In der Praxis findet sich oft die Verknüpfung von Zielsetzungen und markanten Zeitpunkten. Beispielsweise sind Menschen, die unmittelbar vor der Vollendung eines Lebensjahrzehnts stehen, bei den erstmaligen Marathonteilnehmern deutlich überrepräsentiert. Zum Jahreswechsel haben traditionell die guten Vorsätze Konjunktur. Aber warum ist das so?
Psychologen bezeichnen letztgenanntes Verhalten als Fresh-Start-Effect. Der „Neustarteffekt“ beschreibt das Phänomen, dass Menschen zeitliche Orientierungspunkte für Neuanfänge besonders attraktiv finden.
Egal, ob es sich um ein neues Lebensjahrzehnt handelt, den Geburtstag oder Jahreswechsel; alle diese zeitlichen Zäsuren dienen dazu, eine Trennlinie zwischen dem vergangenen und dem zukünftigen Selbst zu ziehen. Und genau das bringt große Vorteile mit sich.
Optimismus statt Zweifel
Mit diesem Trick sorgen wir dafür, dass wir uns freier fühlen und optimistischer in die Zukunft blicken können. Früheres Scheitern und die resultierenden Selbstzweifel lassen sich so leichter beiseiteschieben. Man ist sich sicher: Diesmal gelingt die Diät, die Beförderung oder der regelmäßig praktizierte Sport!
Hier wird die Schutzfunktion des Neustarts (ganz im Sinne Hesses) deutlich: Der Neuanfang als Tabula rasa befreit von den Zweifeln und Ängsten der Vergangenheit – den größten Bremsen für erfolgreiche Veränderungen.
Unzufriedenheit als Ausgangspunkt
Wer in einem wichtigen Lebensbereich unzufrieden ist – beispielsweise Gesundheit, Partnerschaft oder Job – beginnt über einschneidende Veränderungen nachzudenken. Dabei ist es nicht leicht, klare Entscheidungen zu treffen.
Vielleicht ist man mit der aktuellen körperlichen Verfassung unzufrieden und möchte etwas gegen diesen Zustand unternehmen. Andererseits ist man keine Sportskanone und hat schon in der Vergangenheit die guten Vorsätze immer wieder schnell über Bord geworfen. Ganz ähnlich problematisch gestaltet sich die Entscheidungsfindung in Karrierefragen. Man ist im aktuellen Job unglücklich. Aber wer garantiert, dass man in einem anderen Job zufriedener ist?
Der Fresh-Start-Effect hilft dabei, solche Zweifel besser beiseiteschieben zu können. Deshalb ist der Effekt besonders bei denen wirksam, die in der jüngeren Vergangenheit weniger angenehme Zeiten durchlebt haben. Der Neustart hilft ihnen, sich von vorangegangenen Tiefschlägen und Frustrationen zu erholen und etwas Neues zu wagen.
Wer vom Fresh-Start-Effect profitiert
Auslöser für den Wunsch nach einem Neustart oder einer größeren Veränderung dürfte, wie bereits gesagt, meist ein gewisses Maß an Unzufriedenheit sein. Wer mit sich und seiner Lebenssituation zufrieden ist, wird in der Regel nicht über radikale Veränderungen nachdenken.
Genau hier zeigt sich auch, wer am meisten durch einen einschneidenden Neustart profitiert: Idealerweise ist man deutlich von dem gewünschten Ziel oder Zustand entfernt.
Erfolgreicher Neustart:
Wie man den Fresh-Start-Effect richtig nutzt
Bei allem Enthusiasmus: viele dieser guten Absichten scheitern, weil sie schlecht geplant oder einfach unrealistisch sind. Trotzdem ist es eine Tatsache, dass zeitliche Meilensteine eine besondere Wirkung auf die Selbstreflexion und Motivation der meisten Menschen haben. Deshalb möchte ich etwas detaillierter darauf eingehen, wie man den Fresh-Start-Effekt für einen erfolgreichen Neustart nutzen kann.
Um maximalen Nutzen aus dem Fresh-Start-Effect ziehen zu können, sind einige Punkte zu beachten. Nicht für jede Situation oder Zielsetzung braucht es immer gleich einen symbolisch aufgeladenen Neuanfang. Wer dauernd sein Vorgehen mittels Neustarts über den Haufen wirft – obwohl die grundlegenden Herausforderungen gut gemeistert wurden – sabotiert letztendlich das Vorwärtskommen.
Besonders, wenn man bereits auf gute Leistungen zurückblicken kann, ist der Effekt weniger geeignet. Am Beispiel von Sport und körperlicher Fitness lässt sich das verdeutlichen.
Wer bereits im letzten Quartal des Jahres regelmäßig beim Sport war und sich trotz vorweihnachtlicher Verlockungen auf die Ernährung achtete, wird aus dem Jahreswechsel nicht die gleiche Motivation wie ein etwas nachlässigerer Zeitgenosse ziehen können. Wer bereits konsequent seine Zielerreichung verfolgt hat, kann deutlich mehr über „Feintuning“ im Sinne weiterer Optimierungen in den Details erreichen.
Ein weiteres anschauliches Beispiel findet sich im Bereich von Partnerschaften und Freundschaften. Trennungen als radikale Form eines Neustarts folgen auch dem vertrauten Muster des Fresh-Start-Effects: tatsächlich trennen sich die meisten Paare im Monat Januar. Das mag in vielen Fällen durchaus sinnvoll, ja unvermeidbar sein. Allerdings leuchtet es sofort ein, dass eine an sich gute Beziehung wegen kleinerer Krisen keinen „harten“ Neustart zum Jahreswechsel braucht.
Für alle anderen, die wirklich mit ihrer jeweiligen Situation unzufrieden sind und entsprechend intensiven Handlungsbedarf sehen, sind die folgenden Schritte empfehlenswert:
Erster Schritt: Situation prüfen
Als erster Schritt ist somit zu prüfen, ob auch tatsächlich überzeugende Voraussetzungen für den Neustart in Form von Unzufriedenheit mit der gegebenen Situation bestehen.
Ist man wirklich ausreichend weit von angestrebten Zielen oder der gewünschten Lebenssituation entfernt? Verlangt die gegenwärtige Situation einen radikalen Schnitt? Wie groß ist die Lücke zwischen dem Soll- und dem Ist-Zustand?
Um sich ein klares Bild machen zu können, braucht es harte Fakten. Mehr für die Gesundheit tun zu wollen mag ein hehres Ziel sein. Leider hat so ein guter Vorsatz keine echte Substanz. Besser ist die objektive, faktengestützte Bestandsaufnahme. Man sollte zuerst belastbare Werte wie Körpergewicht, Blutdruck und Fitnessniveau ermitteln: besser noch einen Gesundheits-Check beim Arzt durchführen lassen.
Auch wenn es um berufliche Veränderungen geht, sollten die wesentlichen Bewertungskriterien mit kühlem Kopf analysiert werden: Fühle ich mich in dem Beruf wohl oder gehe ich schon morgens mit Bauchschmerzen zur Arbeit? Entspricht das Gehalt meiner Qualifikation? Wie und in welchem Umfang könnte ich mich durch Veränderungen (Fortbildungen, Wechsel des Arbeitsplatzes) verbessern?
Zweiter Schritt: Realismus durch SMARTe Ziele
Eins muss von vornherein klar sein: Die positiven Auswirkungen des Fresh-Start-Effects werden niemals fehlende Planung oder unrealistische Zielsetzungen kompensieren können!
Wenn man sich für einschneidende Veränderungen entscheidet, braucht es nach der ersten Bestandsaufnahme ein oder mehrere klar formulierte Ziele. Viele Menschen würden mir in diesem Punkt vermutlich ohne zu zögern zustimmen. Allerdings sind ihre Ziele oft nicht mehr als Wunschdenken und fixe, aus Launen heraus geborene Ideen.
Nur, wenn die angestrebte Veränderung in klar formulierte Ziele (spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert = SMART) übersetzt wurden, sind reale Erfolgsaussichten gegeben. Am Beispiel Fitness/Abnehmen verdeutlicht bedeutet das:
- Was will ich genau erreichen? Habe ich mir wirklich klargemacht, um was es genau geht?
- Welche Messgrößen sind relevant, damit ich die Zielerreichung überpüfen kann (Gewicht in Kilo, Kraft, Ausdauer, Blutdruck und -werte).
- Handelt es sich um ein attraktives Ziel? Will ich die Veränderung wirklich? Welchen Nutzen oder Befriedigung ziehe ich aus der Veränderung?
- Wichtig!!! Handelt es sich um ein realistisches Ziel? Zehn Kilo Gewichtsverlust in einem Monat sind für 99 Prozent der Menschen nicht realistisch!
- Bis wann soll das Ziel bzw. der gewünschte Zustand erreicht sein?
(In meinem Beitrag Erfolgreiche Ziele sind SMARTe Ziele sind die einzelnen Punkte detailliert erläutert.)
Dritter Schritt: Den richtigen Zeitpunkt finden
Handelte es sich bei den ersten zwei Schritten um die absolut notwendigen Vorarbeiten, kommt jetzt endlich der Fresh-Start-Effect zum Einsatz.
Bei der Auswahl des geeigneten Datums geht es vor allem um eine zentrale Frage: Was soll dieser Tag für mich genau bedeuten? Prinzipiell eignet sich jedes Datum, das sich emotional aufladen lässt. Geburtstage oder auch der Beginn einer Jahreszeit sind ebenfalls denkbar.
Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, die Vergangenheit nach bedeutenden persönlichen Ereignissen zu durchforsten; auch Jahrestage persönlicher Erinnerungen können für den Fresh-Start-Effect genutzt werden.
Es dürfte inzwischen klar geworden sein, dass es nicht immer der Jahreswechsel sein muss um sich Veränderungen vorzunehmen. Tatsächlich sprechen sogar einige gewichtige Argumente gegen den 1. Januar, da man zu diesem Zeitpunkt durch Weihnachtsstress und Silvesterpartys nicht unbedingt in einer guten Verfassung für erfolgreiche Veränderungen ist.
Vierter Schritt: Probleme und Rückschläge schon vorab einkalkulieren
Definitiv werden Probleme und Rückschläge kommen! Daran ändert auch die beste Planung und der Fresh-Start-Effect nichts.
Die größte Gefahr besteht dabei nicht etwa darin, dass man bestimmte problematische Aspekte falsch eingeschätzt oder schlicht übersehen hat. Vielmehr können Probleme und Rückschläge ein komplettes Aufgeben mit sich bringen, was wiederum in Frustration und zukünftigen Selbstzweifeln resultiert.
Deutlich besser ist es, Probleme bereits vorab einzukalkulieren und entsprechende Gegenstrategien zu entwickeln. Wenn der Neustart nicht so geschmeidig wie erwartet verläuft, kann dies auch dazu genutzt werden, um mit gesteigerten Anstrengungen gegenzusteuern und so wieder auf Kurs zu kommen.
Fazit: Chancen und Grenzen des Fresh-Start-Effects
Wie der Beitrag zeigte, ist der Fresh-Start-Effect kein Wundermittel mit Erfolgsgarantie. Allerdings stellt er ein wirkungsvolles Mittel dar um trotz vergangener Niederlagen und Misserfolge eine optimistische Sicht auf zukünftige Projekte zu entwickeln.
Der terminierte und emotional aufgeladene Neustart kann so dabei helfen, aktiv zu werden und Veränderungen anzustoßen. Besonders wer sich hartnäckig seinen Selbstzweifeln hingibt und deshalb nicht in die Gänge kommt, kann sich so selbst überlisten. Die Trennung zwischen vergangenem und zukünftigen Selbst als Kunstgriff stellt somit ein wertvolles Instrument gegen das permanente Verharren in unbefriedigenden Situationen dar.
Dabei darf nie vergessen werden, dass umfassende Veränderungen neben dem Strohfeuer kurzfristiger Begeisterung für den Neustart und schnell erschöpfter Willenskraft auch Durchhaltevermögen und gute d. h. realistische Planung brauchen.