Niemand besitzt unbegrenzte Willenskraft. Auch der Willensstärkste kann die Kontrolle verlieren. Besser, wenn es erst gar nicht so weit kommt! Gute Gewohnheiten und automatisiertes Handeln sorgen dafür, dass wir unsere Willenskraft optimal einsetzen und der „Willenskraft-Muskel“ sich nicht mehr so leicht erschöpft wird. Der Beitrag zeigt, wie man sich die entscheidenden Reserven für die echten Herausforderungen erhält.
Inhalt
Problem begrenzter Willenskraft
Unsere Willenskraft ist begrenzt, man könnte auch im BWLer-Jargon sagen „sie ist ein knappes Gut“. Aber was kann man gegen diese Knappheit tun? Es drängt sich der Gedanke auf, dass die Lösung des Problems vor allem in gesteigerter Willenskraft liegt. Und tatsächlich gibt es vielfältige Möglichkeiten, dem Willen durch Training auf die Sprünge zu helfen.
Den Willen zu trainieren ist schön und gut. Aber wie so oft greift der erste Gedanke zu kurz. Um die Wirtschafts-Wissenschaften erneut zu bemühen: Immer, wenn etwas knapp ist, sollte man sich darüber Gedanken machen, wie man den Verbrauch des wertvollen Guts reduzieren, d. h. optimieren, kann. Kurz gesagt: Wie kann man Willenskraft sparen und trotzdem erfolgreich die langfristigen Ziele verfolgen?
Entscheiden schwächt den Willen
Wer seine Willenskraft richtig einsetzen will, sollte umsichtig mit ihr umgehen. Das Hinterhältige ist, dass wir oft nicht einmal merken, wie der Alltag unsere Willenskraft-Akkus schleichend leer saugt. Die Tatsache, dass wir ständig Entscheidungen treffen müssen, ist dabei vermutlich der Willenskraft-Fresser Nummer eins.
Dabei sind es nicht nur die „großen“ Entscheidungen, mit denen wir den weiteren Verlauf unseres Lebens beeinflussen. Natürlich kosten auch sie Kraft. Die Wahl des Berufs oder auch des Lebensmittelpunkts erfordern differenziertes Denken und Abwägen. Trotzdem stellen diese Beispiele nur die Spitze eines enormen „Entscheidungs-Eisberges“ dar.
Jede noch so kleine Entscheidung kostet nämlich wertvolle Energie und schwächt die Willenskraft. Die meisten dieser Situationen, in denen eine Wahl getroffen werden muss, registrieren wir nicht einmal. Einige Beispiele gefällig?
- Stehe ich nach dem Weckerklingeln sofort auf oder bleibe ich doch noch etwas liegen?
- Was frühstücke ich?
- Welche Kleidung ziehe ich an?
- Im Supermarkt gibt es Unmengen an Marmeladen, Waschmitteln und Hygieneprodukten. Wofür um alles in der Welt soll man sich letztendlich entscheiden?
- Wofür verwende ich, in einem unüberschaubaren Freizeit-Angebot, meine knappe freie Zeit?
- Wie nutze ich das Internet, besonders die sozialen Medien?
Konsum, Lebensentwürfe und soziale Kontakte sind durch enorme Vielfalt und leider auch zunehmende Beliebigkeit geprägt. Freiheit und Wohlstand können mitunter ganz schön anstrengend sein. Wer den ganzen Tag dauernd kleine und kleinste Entscheidungen treffen muss, wird seinen Willenskraftmuskel erschöpfen.
Kleinkram erschöpft die Willenskraft
Das Problem: Wenn eine Unmenge an banalen Entscheidungs-Peanuts unseren Willen aufzehrt, fehlt uns die Selbstbeherrschung in den wirklich kritischen Situationen. Die Konsequenzen können dann unkontrolliertes Online-Shopping, zu wenig Bewegung und Fressattacken sein. Oder Schlimmeres. Wer seine Willenskraft optimal einsetzen will, braucht somit eine kluge Strategie.
Willenskraft optimal einsetzen durch automatisiertes Handeln
Aus dem genannten Sachverhalt lässt sich allerdings eine Strategie ableiten, die unseren Willenskraftspeicher schont. Konkret geht es darum, die alltägliche Flut an Entscheidungen auf das absolut notwendige Maß zu reduzieren. Die Zauberformel, mit der sich das bewerkstelligen lässt, nennt sich automatisiertes Handeln.
Durch automatisiertes Handeln spart man jede Menge an Willenskraft. Praktisch versteht man darunter bewährte Routinen in sich wiederholenden Standardsituationen. Jeder kennt solche Abläufe, die automatisch ablaufen und dementsprechend kaum (Willens-) Energie benötigen.
Ein Beispiel. Die meisten dürften morgens eine Abfolge von Handlungen durchführen, die sich Tag für Tag wiederholen. Aufstehen, Kaffeemaschine starten, duschen usw. So weit, so banal. Tatsächlich steckt hinter diesen pragmatischen Routinen der Schlüssel für die optimierte Nutzung unseres Willenskraft-Speichers!
Routinen schützen vor Kontrollverlust
Vernünftige Routinen helfen dabei, nicht die Kontrolle zu verlieren. Durch sie ist Klarheit über den nächsten Schritt, d. h. die nächste Handlung, gegeben.
Diese Routinen könnte man als gute Gewohnheiten bezeichnen,
die eine stabilisierende Struktur bilden; ein Sicherheitsgerüst,
das vor dem drohenden Kontrollverlust schützt.
Wie wertvoll diese innere Ordnung ist, wird vor allem dann deutlich, wenn man sich Menschen vor Augen führt, bei denen solche Routinen nur mangelhaft ausgeprägt sind. Wer sich schon morgens die Frage stellt „aufstehen oder liegen bleiben?“ oder „Zähne jetzt oder später putzen?“ hat vermutlich Probleme, die weit über Schlafpensum und Zahnhygiene hinausgehen.
Anders formuliert:
Wer für jede Standardsituation immer wieder aufs Neue eine Willenskraft verzehrende Entscheidung treffen muss, wird seine Willensreserven viel schneller erschöpfen, als das Gewohnheitstier.
Selbstdisziplin:
Ergebnis guter Gewohnheiten
Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass Menschen mit (scheinbar) großer Selbstdisziplin ein über weite Strecken automatisiertes Verhalten aufweisen. Konkret bedeutet das, dass deren Tagesablauf von guten Gewohnheiten geprägt und strukturiert ist.
Wie aber könnte nun die praktische Anwendung des bisher Gesagten aussehen? Es soll natürlich nicht darum gehen, wie eine Maschine effiziente aber unendlich langweilige und monotone Routinen in allen Lebensbereichen einzuführen…
Bestandsaufnahme:
Wo macht automatisiertes Handeln Sinn?
…trotzdem sollte am Anfang eine Bestandsaufnahme stehen. Welche sich wiederholenden Aufgaben kosten besonders viel Energie? In welchen Bereichen droht immer wieder ein Kontrollverlust? Es lohnt sich, diese bewusst zu analysieren und schrittweise – wenn möglich und sinnvoll – automatisierte Abläufe einzuführen.
Diese guten Gewohnheiten sparen, wenn sie stabil verinnerlicht sind, Zeit und Energie. Schließlich braucht es dann keinen aufwendigen Entscheidungsprozess hinsichtlich des nächsten Schrittes oder einer bestimmten Wahlmöglichkeit mehr.
Gute Gewohnheiten = sinnvolle Routinen!
Ich möchte hier zwei Beispiele für sinnvolle Routinen nennen, die sich auf eine Vielzahl anderer Lebensbereiche auswirken können. Was sind die Kriterien dafür, dass wir ein bestimmtes Handeln als „sinnvolle“ Routine oder „gute“ Gewohnheit bezeichnen?
- Die Routine/Gewohnheit ist der Situation angemessen; wir können sie als vernünftig bezeichnen.
- Es wird Zeit und/oder Energie gespart.
- Durch die Verinnerlichung als Routinen/Gewohnheiten müssen weniger Entscheidungen getroffen werden; die Willenskraft wird geschont.
- Die Routine „strahlt“ positiv auf andere Lebensbereiche aus.
Beispiel „Morgenroutine“
Ohne Zweifel ist die Zeit, nachdem der Wecker geklingelt hat, nicht unbedingt eine Willenskraft-Hochphase. Pünktlich aufstehen oder vielleicht sogar Frühsport kosten reichlich Überwindung und Energie. Gerade in dieser Phase des Tages profitiert man ganz besonders von eingeschliffenen Gewohnheiten. Wie könnten diese aussehen?
Die erste Empfehlung: Man sollte es sich nicht unnötig schwer machen. Ideal, wenn bereits am Vorabend möglichst viele Vorbereitungen getroffen wurden, die einen angenehmen Einstieg in den Tag leichter machen. Nichts nervt mehr, als morgens erst einmal die Kaffeebüchse oder die Filter auffüllen zu müssen. Gleiches gilt für alle anderen Utensilien, die man morgens braucht. Wer schon morgens Sport machen will, sollte bereits abends die Trainingskleidung oder Sporttasche bereitlegen.
Ein anderer entscheidender Punkt ist die „Routine“. Es gilt, die ersten drei oder vier Handlungen jeden Morgen in der absolut gleichen Abfolge durchzuziehen! Das könnte z. B. so ausschauen:
- Wecker ausschalten, sich strecken und tief durchatmen; evtl. die Aufgaben des heutigen Tages im Geist durchgehen – und dann raus aus den Federn!
- Fenster auf und frische Luft ins System bringen!
- Sofort das Bett machen!
- Kaffee!
- Dusche (für die ganz Harten: eiskalt)
- Noch mehr Kaffee!!!
Es gibt keine allgemeingültige Zauberformel, wie der ideale Einstieg in den Tag auszusehen hat. Den optimalen Ablauf muss jeder individuell für sich zusammenstellen. Entscheidend ist, dass die allmorgendliche Abfolge immer gleich ist. Jeder Schritt muss klar sein und zum Automatismus werden.
Egal, ob man Sport macht, meditiert oder die heutigen Aufgaben schon mal durchgeht (oder alles zusammen). Die Handlungen des Morgens sind ein heiliges Ritual bei dem Stress und Unklarheit nichts verloren haben! Schließlich werden hier bereits die Weichen für Erfolg oder Misserfolg des ganzen Tages gestellt.
Beispiel „feste Essenszeiten“
Eine der größten Willenskraftherausforderungen besteht in der Kontrolle des Essens. Was esse ich wann? Und nicht zuletzt in welchen Mengen? Klar. Essen macht Spaß. Vor allem Fett und Zucker üben ganz besondere Reize aus, die dann in unkontrolliert eingestreuten Snacks aus Fast Food und Schokoriegeln ausufern.
Wer diesen Verlockungen mit purer Willenskraft entgegentritt, hat meist schneller verloren, als es dauert „McFlurry-Daim-Karamell“ zu sagen. Fatalerweise sinkt mit unserem Blutzuckerspiegel auch unsere Willenskraft. Genau aus diesem Grund scheitern die meisten Diäten. Doch es gibt Hoffnung.
Ganz besonders wenn es um die Kontrolle der Ernährung geht, sind gute Gewohnheiten unverzichtbar. Der erste Schritt besteht darin, feste Zeiten für die Mahlzeiten oder auch Snacks festzulegen. Wenn diese Regel verinnerlicht ist, sind unkontrollierte Extra-Happen aus Langeweile oder „Appetit“ überhaupt kein Thema mehr. Fehlt diese Struktur, ist der Gedanke an einen zusätzlich eingestreuten Schokoriegel unser ständiger Begleiter und nagt an unserer Willenskraft.
Aktuelle Erkenntnisse aus der Ernährungswissenschaft empfehlen zudem weniger Mahlzeiten in einem relativ engen Zeitfenster. Die meisten Berufe brauchen kein Frühstück als Basis, wie es ein Fabrikarbeiter im 19. Jahrhundert verputzte! Schon zwei Mahlzeiten pro Tag in einem relativ engen Zeitfenster von acht bis zwölf Stunden genügen. Zudem kann sich so eine Ernährung positiv auf zu hohes Gewicht und schlechte Blutzuckerwerte auswirken.
Fazit: Bereits die Klarheit darüber, wann gegessen wird, schiebt der permanenten Versuchung einen wirkungsvollen Riegel vor. Im nächsten Schritt kann die bewusste Mahlzeiten-Planung der einzelnen Wochentage erfolgen. Was sich positiv auf die Ernährung und eine gesündere Einkaufsliste auswirkt.
Willenskraft optimal einsetzen:
Reserven für echte Herausforderungen behalten!
Eines muss natürlich klar sein. Phasen, die von besonderer Belastung und Stress geprägt sind, werden nie ganz zu vermeiden sein. Allerdings wird jeder, der durch gute Gewohnheiten weniger Willenskraft aufbringen muss, mit solchen Stressphasen deutlich besser zurechtkommen.
Wer seine begrenzte Willenskraft optimal einsetzen will, tut deshalb gut daran, schrittweise automatisiertes Handeln in seinen Tages- und Wochenverlauf zu integrieren. Willenskraft ist somit in zwei Bereichen eine sinnvolle Investition: Zum einen um die neuen Routinen einzuführen und zu verfestigen. Zum anderen, um den wirklich gefährlichen Versuchungen die Stirn bieten zu können.