Warum über ein abstraktes Phänomen wie Zeit nachdenken? Vergeht sie doch so oder so, egal ob wir nun über sie nachdenken oder nicht. Trotzdem: Nur wer sich den besonderen Wert der Zeit und ihre endgültige Begrenztheit bewusst macht, wird sie klug zu nutzen wissen. Denn Zeit ist ein knappes und somit wertvolles Gut. Wer den Beitrag liest, begeht garantiert keine Zeitverschwendung!
Inhalt
Warum über Zeit nachdenken?
„Ein sehr trauriges Leben endet damit, zurückzublicken und zu erkennen, dass man so viel mehr hätte haben,
tun und sein können.“
Robin Sharma
Warum sollte man überhaupt über Zeit nachdenken? Der unaufhaltsame Fluss der Zeit zeigt sich nicht im geringsten durch unsere Denkanstrengungen beeindruckt. Trotzdem sollte man sich eine Reihe von Tatsachen in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit bewusst machen:
- Zeit ist für jeden Menschen nur begrenzt vorhanden. Warum wird trotzdem so oft leichtfertig mit ihr umgegangen?
- Unser Verhältnis zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bestimmt massiv die Qualität unseres Handelns. Warum ist sich dieser Tatsache kaum jemand wirklich bewusst?
Schauen wir uns die beiden genannten Punkte etwas genauer an. Konkret geht es um die ökonomischen Aspekte von Zeit und die Art und Weise, wie wir zu den drei Zeitperspektiven Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehen.
Zeit ist unser wertvollstes Gut
Es ist ein alter Hut, dass der Wert von Dingen oft an deren Verfügbarkeit gemessen wird. Gold, Platin oder Diamanten sind vor allem auch deshalb so wertvoll, weil ihre Vorkommen relativ selten sind. Deshalb gilt meist die Regel: je knapper, desto wertvoller.
Wie sieht es mit der Lebenszeit aus, die einem Menschen zur Verfügung steht? Es ist klar, dass die kurze Spanne Leben begrenzt ist. Natürlich erscheinen uns 70, 80 oder gar 100 Jahre sehr lang.
Aber irgendwann endet auch das längste Leben, gibt es keinen Plan B und keine Hintertür. Es gibt nichts um auch nur einen Moment zusätzliche Zeit zu bekommen, wenn die Uhr abgelaufen ist. Ebenso ist verschwendete Zeit für immer verloren. Es ist keine schöne Vorstellung, im Rückblick eine negative Bilanz ziehen und auf ein unbefriedigendes, weil verschwendetes, Leben zurückzublicken.
Ist Zeit wirklich Geld?
Das bekannte, von Benjamin Franklin stammende, Zitat wurde schon so oft bemüht, dass es kaum noch hinterfragt wird. Geld kann angespart werden, und wenn es knapp ist, wird sich immer eine Bank finden, die einem mit mehr oder weniger attraktiven Angeboten aus der Notlage hilft.
Wertvolle Güter können verkauft, d. h. gegen Geld eingetauscht werden. Zeit hingegen ist, wie bereits gesagt, unsere knappste Ressource. Einmal aufgebraucht ist sie für immer verschwunden. Sie kann nicht angespart und erst recht nicht ausgeliehen werden. Keine Frage: Zeit ist um ein Vielfaches wertvoller als Geld.
Erstaunlicher Weise macht es den meisten Menschen deutlich weniger Bauchschmerzen, mit ihrer Zeit als mit Geld verschwenderisch umzugehen
Wie viel Zeit verbringen wir mit anstrengenden Zeitgenossen, die uns mit banalen Geschichten und Small Talk tyrannisieren? Oder die Zeit, die man mit Tagträumereien während der Wartezeiten an Haltestellen und Supermarktkassen verbringt? Von tausenden Stunden fragwürdigem Medienkonsum ganz zu schweigen.
Man pendelt täglich Stunden zur Arbeit, steht im Stau und schiebt Überstunden. Zu jeder nur denkbaren Gelegenheit wird Zeit mit vollen Händen zum Fenster hinausgeworfen. Kaum jemand würde mit seinen Finanzen so fahrlässig-verschwenderisch umgehen, oder?
Noch ein Wort zu Benjamin Franklin
Zur Ehrenrettung Benjamin Franklins ist übrigens anzumerken, dass er keineswegs nur die Gleichung Zeit = Geld aufstellen wollte. Wie so oft kommt es auf den Kontext an. Das Zitat stammt aus einer kurzen Abhandlung mit Ratschlägen für junge Kaufleute („Advice to a Young Tradesman„).
Es geht im Text nicht darum, Zeit und Geld einfach gleichzusetzen. Vielmehr wird daran erinnert, dass man während des Müßiggangs kein Geld verdient aber trotzdem Geld braucht. Vor allem geht es also um die Aufforderung, fleißig zu sein – und Zeit nicht zu verschwenden.
Zeitverschwendung durch verdrängte Sterblichkeit
Nochmals zusammengefasst: Zeit ist wegen ihrer „endgültigen Knappheit“ das Wertvollste, was ein Mensch besitzen kann. Trotzdem wird nicht selten geradezu fahrlässig mit ihr umgegangen. Wie kann es sein, dass Menschen mit ihrer Zeit umgehen, als ob sie in unbegrenztem Maß vorhanden wäre?
Eine recht plausible Erklärung liefert Pulitzer-Preisträger Ernest Becker: Nahezu alle Menschen verdrängen die Tatsache des Todes. Vor allem, wenn es um ihre eigene Endlichkeit geht. Becker geht so weit zu behaupten, dass diese unschöne Tatsache aus psychischer Sicht unerträglich sei. Was dazu führt, dass alles, was an den eigenen Tod erinnert, verdrängt oder ausgeblendet wird.
Bevor man den Tod als letzte menschliche Bestimmung akzeptiert, wird eher unbefleckte Empfängnis, Auferstehung und Wiedergeburt für möglich gehalten. Oder ein „Premium-Jenseits“ das für alle Mühen des irdischen Lebens entschädigt. Oder man entscheidet sich gleich für ein fliegendes Spaghetti-Monster 😉
Aber zurück zu Beckers These. Wer den Tod verdrängt, verdrängt dabei auch das Ende seiner Lebenszeit. Und so verliert sich leicht aus den Augen, wie knapp und begrenzt diese Zeit doch ist.
Natürlich muss jeder einen Weg finden, mit der eigenen Endlichkeit umzugehen. Ob man seine Ängste und Zweifel mit Religion, Philosophie oder esoterischen Konstrukten (oft Marke Eigenbau) lindert. Man sollte sich immer der Gefahr bewusst sein, dass diese „Linderung“ der Todesfurcht dazu führen kann, die Lebenszeit weniger wertvoll einzuschätzen. Und so vielleicht weniger erfüllt zu leben.
Denkanstoß:
Zeit wertschätzen!
Es ist nicht notwendig, philosophische Traktate oder Abhandlungen von Astrophysikern zu studieren. Der erste sinnvolle Schritt für einen klugen Umgang mit Zeit ist, die begrenzte eigene Zeit wertzuschätzen. Und das im unmittelbaren Wortsinn.
Natürlich ist es für die Lebensqualität nicht gerade förderlich, permanent ans Sterben und den eigenen Tod zu denken. Wie so oft kommt es auf die Perspektive an: Ist das „Zeit-Glas“ nun halb voll oder halb leer? Das Ziel sollte sein, aus der Tatsache eines zeitlich begrenzten Lebens die Wertschätzung für jeden erlebten Moment zu erschaffen.
Es ist deshalb kein Fehler, besonders in alltäglichen Situationen darüber nachzudenken, ob es nicht bessere Möglichkeiten gibt, wie man seine Zeit nutzen kann. Welches Handeln ist unserer wertvollen Zeit wirklich würdig? Eine Frage, die man sich gar nicht oft genug stellen kann.
Verhältnis zur Zeit bestimmt Entscheidungsprozesse
Wir treffen andauernd Entscheidungen. Und natürlich wollen wir gute Entscheidungen treffen! Den meisten Menschen ist jedoch nicht bewusst, wie stark ihr Verhältnis zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die vorgelagerten Entscheidungsprozesse beeinflusst.
Philip Zimbardo und John Boyd erläutern in ihrem Buch „Die neue Psychologie der Zeit“ was es mit den sogenannten Zeitperspektiven auf sich hat. Generell kann man sagen, dass eine einseitige bzw. negative Fixierung auf eine der drei zeitlichen Dimensionen Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft in der Regel deren schädliche Aspekte hervorhebt. Sehen wir uns das einmal genauer an.
Negative Sicht der Vergangenheit beschädigt Gegenwart und Zukunft
Wer z. B. seine Vergangenheit als Sammlung von Niederlagen und Demütigungen wahrnimmt, wird große Probleme damit haben, die Gegenwart zu genießen oder mit einem gewissen Optimismus in die Zukunft zu blicken. Wenn vergangene Niederlagen das Selbstvertrauen ausgehöhlt haben, wird es für viele Menschen nahezu unmöglich, vernünftige Pläne für die Zukunft zu machen und aktiv zu werden.
Gescheiterte Beziehungen oder abgelehnte Bewerbungen können so dazu führen, dass sich Menschen in ihren bescheidenen Lebensumständen einrichten. Sie versuchen dann erst gar nicht mehr, die Situation zu verändern und verschlimmern so ihre Lage zusätzlich.
Ausverkauf der Zukunft durch exzessiven Gegenwartsbezug
Ebenso problematisch ist die enge Fixierung auf das Hier und Jetzt (siehe dazu den Beitrag zu den negativen Auswirkungen zeitlicher Kurzsichtigkeit). Die exzessive und unmittelbare Bedürfnisbefriedigung geht fast immer auf Kosten einer besseren Zukunft. Anders formuliert: Nicht alles, was jetzt Spaß macht, tut langfristig gut.
Die Entscheidungen zugunsten von Couch und Fernseher, dem x-ten Bier oder dem Aufschieben nerviger Aufgaben sind für den Moment zwar attraktiv und angenehm. Aber jedem ist klar, dass mittel- und vor allem langfristig die negativen Auswirkungen überwiegen.
Für die Zukunft leben?
Aber auch die generalstabsmäßige Planung bzw. Fixierung auf die Zukunft macht nicht unbedingt Sinn. Wer alle Anstrengungen auf ein besseres Leben in der Zukunft ausrichtet, läuft Gefahr, ein erfülltes Leben in der Gegenwart aufs Spiel zu setzen. Überzogenes Karrierestreben und Geiz sind die idealtypischen „Krankheiten“ einer so verengten Zeitperspektive.
Fazit:
Nur wer über Zeit nachdenkt,
kann mit ihr bewusst umgehen!
Wir haben gesehen, dass Zeit – obwohl sie knapp und wertvoll ist – oft verschwendet wird. Auch kann die zu einseitige Fixierung auf eine der drei Zeitperspektiven zu suboptimalem Handeln führen. Was kann man mit diesen Informationen nun anfangen? In erster Linie geht es natürlich um unser Handeln. Jeder will das Richtige tun, um den Traum vom erfüllten und glücklichen Leben zu realisieren.
Aber um das „Richtige“ zu tun, müssen erst einmal Überlegungen und Entscheidungen getroffen werden. Wer seine Zeit wirklich wertschätzt, hat bereits einen – wenn nicht den – entscheidenden Schritt für einen klugen Umgang mit Zeit getan. Zudem ist es entscheidend, die Wechselwirkungen zwischen den drei Zeitperspektiven Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf dem Schirm zu haben. Nur indem man sich bewusst macht, wie man zu Vergangenheit und Zukunft steht, kann man für die Gegenwart die richtigen Entscheidungen treffen. Und somit vermeiden, sich zum Sklaven einseitiger (und oft negativer) Zeitperspektiven zu machen.
Letztendlich können wir nur in dem winzigen Augenblick, den wir gerade jetzt erleben, unser Leben beeinflussen. Das Nachdenken über Zeit liefert die Basis dafür, immer wieder das Beste aus diesen Momenten zu machen.