Angeblich gibt es einen Typ Mensch, der ein ganz besonders problematisches Verhältnis zu Zeit, Stress und seinen Mitmenschen hat. Er wird schnell ungeduldig, ist permanent ruhelos und brennt vor übertriebenem Ehrgeiz. Zudem ist er aufbrausend bis hin zur offenen Feindseligkeit. Ganz klar, so sieht kein Sympathieträger aus. Aber dieser Unsympath aus der Kategorie „Typ-A-Persönlichkeit“ bekommt die verdiente Quittung für sein unmögliches Verhalten: Stress, Bluthochdruck und daraus resultierend ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte. OK – genug Horrorgeschichten auf Stammtischniveau. Ob das alles wirklich so plausibel ist und was durchgescheuerte Sitzbezüge im Wartezimmer eines Kardiologen mit der Sache zu tun haben, kann man im Beitrag erfahren.
Inhalt
Die „Entdeckung“ der Typ-A-Persönlichkeit – im Wartezimmer!
Der Begriff geht auf die beiden amerikanischen Kardiologen Meyer Friedman und Ray Rosenman zurück. Erstaunlich, dass der von ihnen behauptete Zusammenhang seinen Ursprung nicht in Patientengesprächen, Blutwerten und EKGs hatte.
Vielmehr stellte ein Polsterer, der die Stühle im Wartezimmer von Friedmans Kardiologenpraxis neu beziehen sollte, seltsame Abnutzungsspuren fest. Sitzflächen und Armlehnen waren im vorderen Bereich stark verschlissen. Der irritierte Handwerker sprach den Kardiologen auf den ungewöhnlichen Umstand an.
Von abgenutzten Stühlen zum Krankheitsbild
Friedman und Rosenman leiteten aus den Abnutzungsspuren das Verhaltensmuster der Typ-A-Persönlichkeit und den Dreiklang Hektik – Herzrasen – Herzinfarkt ab. Anders formuliert: Wer massiv unter Druck steht, rutscht auf der Stuhlkante herum; entsprechend leiden die Polsterbezüge.
Natürlich reichten den beiden Medizinern abgewetzte Polster und Armlehnen nicht alleine aus; sie stellten eigene Untersuchungen an und veröffentlichten eine Studie über den „Typ-A“. In ihrer Einschätzung gehörte bereits damals fast die Hälfte der Bevölkerung möglicherweise zu diesem Risiko-Typ und war in Gefahr, wegen einer Erkrankung des Herzens, früher zu sterben. Alle anderen wurden übrigens in einen Sack mit der Bezeichnung „Typ-B“ gesteckt.
Typ-A-Persönlichkeit und Gesundheit
Für alle, die ihre Karrierepläne nun aus gesundheitlichen Bedenken infrage stellen, möchte ich gleich Entwarnung geben. Wenigstens soweit es um die Vorstellung eines herzkranken, gehetzt-gestressten Typ-A-Übermenschen geht.
Es zeigte sich nämlich, dass die Studie der beiden Kardiologen schwere Mängel aufwies. Um nur ein Beispiel zu nennen: Sie ignorierten, dass ein hoher Anteil Raucher unter ihren Patienten war.
Spätere (Meta-)Studien haben gezeigt, dass es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Typ-A und ernsthaften Herzproblemen gibt. Das Konzept wirkt überladen, da die Merkmale Ungeduld, Ruhelosigkeit, Ehrgeiz, Wettbewerbsstreben, Ärger und Feindseligkeit zu einem Bündel zusammengefasst wurden.
Mehr bringt die gezielte Betrachtung einzelner Facetten: Feindseligkeit und Ärger haben tatsächlich Einfluss auf das Risiko einer kardiologischen Erkrankung! Zeitdruck, viel Arbeit und ein generell hohes Lebenstempo machen allerdings nicht zwingend krank.
Typ-A-Persönlichkeit und Eilkrankheit – alles nur ein Mythos?
Manche Geschichten klingen so plausibel, dass sie einfach wahr sein müssen. Aber oft zeigt sich im Nachhinein, dass sie nur „zu schön um wahr zu sein“ sind. Trotzdem – oder gerade deswegen – werden solch anschauliche (aber längst widerlegte) Konzepte noch immer gerne unkritisch weitererzählt. Das ist aber nicht hilfreich, sondern unzulässige (weil falsche) Vereinfachung! Hier ein paar Denkanstöße.
Permanenter Stress wird von Verfechtern der Eilkrankheit und Typ-A-Persönlichkeit gerne als Geißel der modernen, exponentiell beschleunigten Welt bewertet. Ich finde, dass man hier die eigene Mündigkeit aufgibt und sich zum Opfer stilisiert. Wo bleibt hier die Verantwortung für sich selbst?
Ein ähnliches Schema zeigte sich bei der Befragung von Herzkranken. Ein großer Anteil der Befragten gab Stress als (vermutete) Ursache für die Erkrankung an. Stress wurde dabei wie eine nicht beeinflussbare, dem Fortschritt geschuldete Gesetzmäßigkeit gesehen. Deutlich weniger Gewicht maßen die Patienten den „Big Four“ zu (Cholesterin, Bluthochdruck, Diabetes und Rauchen). Dumm nur, dass deren Gefährlichkeit schon lange wissenschaftlich nachgewiesen ist und man sich an die eigene Nase fassen bzw. fragen sollte: „Warum bin ich so fahrlässig mit meiner Gesundheit umgegangen?“
Als Kontrollinstrument, um sich seiner Stärken und Schwächen bewusst zu werden, können idealtypische Verhaltensmuster wie die Typ-A-Persönlichkeit und Symptome der Eilkrankheit allerdings nützlich sein. Sie tragen dazu bei, inneren Zeitdruck und Stress früh zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Um Leistungsbereitschaft und Konkurrenzdenken pauschal zu verteufeln, sind sie ungeeignet.