Zeitdruck und Stress lassen sich in modernen Gesellschaften nie vollständig vermeiden. Und wer möchte schon ein Leben wie „auf Valium“? Geschwindigkeit und ein gewisser Druck stehen schließlich auch für Spannung und Herausforderung. Aber was ist, wenn das Gefühl unter Zeitdruck zu stehen, zum ständigen Begleiter wird? Wenn uns Stress und Hektik – auch ohne tatsächlich existierenden Anlass – in den Würgegriff nehmen? Möglich, dass man bereits Symptome der „Eilkrankheit“ zeigt. Der Beitrag nennt die typischen Anzeichen und zeigt Wege aus dem Dilemma.
„Wer nach der Uhr lebt, muss damit rechnen, dass ihm sein Leben irgendwann auf den Wecker geht.“
Ernst Ferstel
Inhalt
Was versteht man unter der „Eilkrankheit“?
Moderne Gesellschaften stehen unter dem Diktat der Uhren. Das ist eine Tatsache. Schnelles und zeitlich exakt durchgetaktetes Arbeiten ist entscheidend für den Wohlstand eines Landes. Und natürlich für all die Annehmlichkeiten, auf die wir nicht mehr verzichten wollen. Aber die Medaille hat eine Kehrseite. Schon morgens startet man – im Widerspruch zum eigenen Rhythmus – übermüdet in den Tag, weil es die Arbeitszeiten so verlangen.
Im Job werden Flexibilität, ständige Erreichbarkeit und schier übermenschliche Multitasking-Fähigkeiten verlangt. Nichts ist mehr sicher außer der Unsicherheit. Das Leben wird als immer schnellere Abfolge von zersplitterten Aufgaben, Fristen und Anforderungen wahrgenommen.
Unter solchen Bedingungen besteht die Gefahr, dass der gefühlte innere Zeitdruck zur Gewohnheit wird. Die krankhafte Fixierung auf Zeitaspekte zusammen mit dem Drang, sich ständig beeilen zu müssen, wird als Eilkrankheit bezeichnet. In diesem fortgeschrittenen Stadium drohen Erkrankungen wie Depression, Burn-out oder Herz-Kreislauf-Probleme. Diese Symptome stellen Warnsignale dar:
Symptome der Eilkrankheit
- Ist man nur noch auf Ziele und Zahlen fixiert? Dreht sich alles um die angestrebte Beförderung, die Eigentumswohnung und den (negativen) Kontostand? Haben dagegen andere Lebensbereiche wie Freundschaften und Hobbys an Bedeutung verloren?
- Springt man immer schneller von Gedanke zu Gedanke? Gelingt es nicht mehr, abzuschalten beziehungsweise bringen einem diese Gedanken um den Schlaf? Fällt es immer schwerer, sich auf eine Sache zu konzentrieren?
- Gelingt es kaum noch, im Hier und Jetzt positive Dinge wahrzunehmen? Grübelt man stattdessen über Vergangenes und macht sich wegen der Zukunft Sorgen? Sind die Gedanken, die sich mit der Gegenwart beschäftigen, vor allem auf Krisen und Probleme bezogen?
Maßnahmen gegen die Eilkrankheit
Was kann man gegen die Eilkrankheit tun? Die Ursachen des Problems sind genauso vielfältig, wie Menschen unterschiedlich sind. Was dem einen schon zu hektisch und stressig erscheint, führt bei dem anderen zur Langeweile.
Deshalb muss man genau prüfen, ob das eigene Temperament (beziehungsweise die eigene Leistungsfähigkeit) mit der tatsächlich gegebenen Lebensrealität übereinstimmt. Am Anfang steht deshalb eine individuelle Bestandsaufnahme der Situationen in verschiedenen Lebensbereichen.
Bestandsaufnahme:
Tempo in verschiedenen Lebensbereichen
Robert Levine hat in dem lesenswerten Buch „Eine Landkarte der Zeit“ fünf Bereiche abgegrenzt, die für eine Bestandsaufnahme von Bedeutung sind. Die Frage lautet jeweils: Ist das Lebens-Tempo in diesem Bereich zu schnell, zu langsam oder in Ordnung?
- Schul- oder Arbeitsleben
- Ort an dem man lebt
- Privatleben
- gesellschaftliches Leben
- Leben als Ganzes
Zeigt sich, dass in einem oder mehreren Bereichen das eigene Tempo nicht zu dem geforderten passt, sollte gehandelt werden. In gewissem Umfang kann durch bessere Planung der Aufgaben (Prioritäten setzen, Arbeitsabläufe optimieren) und Steigerung der Leistungsfähigkeit (Sport, Ernährung, Fähigkeiten) Entlastung geschaffen werden. Auch öfter mal „Nein!“ zu sagen, ist hilfreich. Generell ist die Fähigkeit zu konstruktiver Kommunikation in allen Bereichen wertvoll. Trotzdem sind von solchen Maßnahmen keine Wunder zu erwarten.
Akzeptanz des individuellen Tempos
Deutlich mehr bringen die Akzeptanz des individuellen Tempos und das Bestreben, die genannten Lebensbereiche danach auszurichten. Schauen wir uns einige der Bereiche nochmals genauer an.
- Gehe ich oft mit Widerwillen zur Arbeit? Verfolgen mich Probleme, die mit dem Job zu tun haben, bis in meine Freizeit? Habe ich Schlafstörungen? Wenn es kaum Hoffnung gibt, dass diese Probleme nur von kurzfristiger Natur sind, sollte man sich schleunigst nach einer Alternative umsehen. Auch eine schlechtere Bezahlung ist kein Argument. Lieber Konsum und Kosten reduzieren, als ca. 1.700 Stunden pro Jahr (bei einer Vollzeitstelle) die Seele verkaufen!
- Es besteht ein großer Unterschied zwischen Stadt und Land, was die Geschwindigkeit angeht. Je höher die Einwohnerzahl, desto höher auch das Tempo. Hinzu kommen Aspekte wie Lärmbelästigung, Luftverschmutzung und hohe Mieten in den urbanen Regionen. Beim Leben im ländlichen Raum muss allerdings oft sehr zeitaufwendig zum Arbeitsplatz gependelt werden. Trotzdem sollte man sich mit dem Tempo am Wohnort wohlfühlen – man muss ja nicht gleich in eines der deutschen Mittelgebirge „auswandern“.
- Unter dem Bereich des Privatlebens nimmt die Partnerschaft eine zentrale Stellung ein. Wenn man dem Sprichwort „Gegensätze ziehen sich an“ zustimmt, ist ein nicht geringes Maß an Kompromissbereitschaft gefragt. Bei gegensätzlichen Vorstellungen davon, was als anregend oder stressig empfunden wird, braucht es jeder Menge sachlicher Kommunikation und Bereitschaft, dem/der anderen entgegen zu kommen.
„Ich kann nicht“ bedeutet oft „ich will nicht“
Oft wird das Argument „ich kann nicht“ ins Feld geführt. Ich kann nicht…
- …den Job kündigen, ich bin schon zu alt und würde auch weniger verdienen.
- …umziehen, wir haben doch gerade erst renoviert.
- …in meiner Beziehung auf meinen Wünschen beharren, wir hatten doch erst eine Krise überwunden.
Diese Begründungen sind aber meistens Quatsch. In vielen Fällen meint „ich kann nicht“ nur „ich will nicht“. Angst vor Konflikten und Veränderungen oder auch einfach nur Bequemlichkeit verhindern, dass eine inakzeptable Situation geändert wird.
Nicht jammern,
sondern aktiv werden!
Zugegeben, im Vergleich zu früheren Jahrhunderten kam es seit der Industrialisierung zu einer noch nie da gewesenen Beschleunigung aller Lebensbereiche. Trotzdem ist es zu einfach, dem schnellen Tempo und Wandel allein den Schwarzen Peter zuzuschieben.
Es gibt schließlich Menschen, die mit hohem Tempo und Zeitdruck sehr gut zurechtkommen. Sie entwickeln nicht die Symptome der Eilkrankheit; äußerer Zeitdruck muss eben nicht zwingend einen aus dem Ruder gelaufenen inneren Zeitdruck bewirken!
Die Gleichung mehr Tempo = mehr Probleme ist deshalb falsch. Bei aller Beschleunigung und Unsicherheit bietet die Gegenwart unzählige Möglichkeiten, ein Leben in Zufriedenheit und Glück zu führen.
Die Herausforderung für jeden von uns ist es, den jeweils passenden Lebensentwurf für sich zu finden. Man muss sich darüber klar werden, wer man ist und was man will. Und dann legt man los!